Der Ruf Der Walkueren
Lachkrampfs. Mit plötzlichem Ernst legte sie einen Finger auf seine Lippen und fuhr die Form seines Mundes nach. »Kommt zu mir!«, bat sie.
Sigfrid verstand gar nichts mehr. Ihre Gefühlsumschwünge verwirrten ihn. Da er nicht wusste, wie er reagieren sollte, beugte er sich über sie und küsste sie.
»Erzählt mir von Euch! Wer seid Ihr?«
Sigfrid war erleichtert. Hier befand er sich auf sicherem Boden. »Ich bin ein unbekannter Krieger, der Heldentaten vollbringen will.«
Sie stieß ihn von sich und stand auf.
Verletzt sah er ihr nach. »Aber was …?«
Sie beachtete ihn nicht, holte einen Spiegel aus einer Truhe und fing an, ihr Haar zu kämmen.
Verständnislos erhob er sich und blieb hinter ihr stehen. »Brünhild …«, sagte er bittend.
Sie fuhr zu ihm herum. »Ich pflege nicht bei unbekannten Kriegern zu liegen! Was glaubt Ihr, wer ich bin? Eine Metze, die sich jedem hingibt?« Sie kehrte ihm wieder den Rücken zu.
Sigfrid war nach Heulen zumute. Ihre abweisende Haltung konnte er kaum ertragen. Bisher war die Welt einfach gewesen: Mit einem gesīp scherzte man und trieb Unsinn, einen Feind bekämpfte und erschlug man. Und jetzt gab es dieses Wesen, das mit einem Wimpernschlag Chaos in seinem Inneren auslösen konnte, das den mächtigen Wunsch in ihm weckte, ihr zu Gefallen zu sein, und das ihn vor Furcht erbeben ließ bei dem Gedanken, ihr wehzutun. »Verzeiht mir! Ich … ich … bin Sigfrid, König Sigmunds Sohn.«
Sie drehte sich um. Seine offenen Augen machten sie schwach. Niemand konnte diesen Augen widerstehen.
Er deutete ihr Schweigen als Kritik. »Ich werde einem freigebigen und mächtigen Jarl Gefolgschaft schwören und Ruhm und Ehre erwerben, um mich meiner Sippe würdig zu erweisen.« Nein, das war nicht das, was er hatte sagen wollen. »Um … um mich Eurer würdig zu erweisen.«
»Und wo wollt Ihr hin?«, fragte sie herablassender als beabsichtigt.
»Ihr glaubt mir nicht, nicht wahr?«, sagte er zornig. »Ihr haltet mich für einen dummen Jungen. Aber ich werde im Gefolge eines Jarls kämpfen, bis ich ein Krieger geworden bin, von dem die Skopen singen. Und wenn Ihr die Lieder über mich hört, werdet Ihr wissen … werdet … werdet Ihr wissen, dass Ihr Unrecht hattet, mich auszulachen!«
Sie konnte den verletzten Ausdruck in seinen Augen nicht ertragen und wandte sich ab, um ihre Tränen vor ihm zu verbergen.
Er glaubte, sie zeige ihm die kalte Schulter, und riss sie herum, um ihr seine Meinung ins Gesicht zu schleudern. Das erwies sich jedoch als Fehler, denn angesichts dieser schimmernden braunen Augen verlor er den Faden und fing an zu stammeln. »… dann … dann komme ich zurück, und dann … dann … dann … mache ich Euch zu meiner Frau.«
Sie spürte einen nun schon bekannten Stich nahe am Herzen und wollte nicht länger zweifeln und ängstlich sein. »Und hätte ich auch unter allen Männern zu wählen – Ihr seid es, den ich will«, flüsterte sie.
Das Herz schlug Sigfrid bis zum Hals. Im Stillen hatte er bereits beschlossen, Gefolgsmann des Jarls von Bertangenland zu werden. Man sagte, er sei großzügig; der Schatzspender, wurde er genannt, was unfehlbar ein Zeichen großen Heils war. Die Heimat des Jarls lag nördlich von Tarlungenland, am Albenfluss. Seine Sippe ging zurück auf die alten langobardischen Königsgeschlechter, die vor den Sachsen dort lebten. Bei ihm würde Sigfrid große Ehre erlangen, und dann würde er zurückkommen und um Brünhild freien.
Einer Eingebung folgend streifte er den Ring von seinem Handgelenk. Das Gold glühte, erfüllt vom megin seiner Gefühle. »Dies soll das Unterpfand meiner Liebe sein. Ich schwöre bei Frija, dass ich zurückkehren und um Euch freien werde, sobald ich alles gelernt habe, was ein Krieger wissen muss! Ich gehöre Euch und Ihr gehört mir für alle Zeiten. Möge das Heil sich von mir wenden, wenn ich diesen Schwur breche!«
Er streifte ihr den Ring über das Handgelenk. Das Gold brannte rotweiß, aufgeladen durch die doppelte Energie ihrer Liebe. Er liebt dich , flüsterte etwas in ihrem Herzen.
Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Der heilige Ernst, mit dem er sprach, erfüllte ihre Seele mit einer unbeschreiblichen Kraft. Mit dieser Kraft konnte sie mit Leichtigkeit noch einmal drei Jahre des Alleinseins überstehen. Sie lachte und weinte gleichzeitig und küsste sein Gesicht über und über. »Ich werde auf Euch warten«, schluchzte sie. »Ich werde
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