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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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auf Euch warten.«

III
Frühjahr 481

Der Streit der
Königinnen
1
    Vier Jahre! Immer, wenn sie am wenigsten damit rechnete, suchte der Gedanke sie heim. Vier endlose Jahre! Brünhild konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Sie wollte nicht daran denken. Sorgfältig breitete sie die Blüten und Blätter, die sie den Vormittag über mit Oda gesammelt hatte, auf hängenden Netzgittern zum Trocknen aus.
    Vier Jahre.
    Die Sächsin ließ den Korb sinken und setzte sich müde auf eine Bank. Eine Schwalbe auf der Suche nach einem Nistplatz verirrte sich in den Speicher, drehte eine elegante Runde und schoss wieder zur Tür hinaus. Brünhild barg den Kopf in ihren Händen. Vier Jahre lang hatte sie Sigfrid nicht gesehen. Sie hatte sich nach Kräften bemüht, sich mit ihrer neuen Situation abzufinden und ihre Rolle als Königin der Niflungen auszufüllen. Niemand sollte ihr nachsagen, sie sei eine schlechte Herrin. Doch obwohl ihr die Menschen inzwischen Vertrauen und sogar Zuneigung entgegenbrachten, fühlte sie sich nach wie vor wie eine Fremde.
    An einige Annehmlichkeiten im Land der Franken hatte sie sich schnell gewöhnt: das milde Klima, die Brunnen, die von den Römern stammenden Thermen   … Dinge, die ihr das ungeliebte Dasein ein wenig versüßten. Doch nichts davon konnte darüber hinwegtäuschen, dass sie das einfache, überschaubare Leben in Svawenland vermisste. Tolbiacum war ihr zu laut und überfüllt.
    Brünhild sehnte sich nach Radegunde. Die Gespräche mit der Dienerin fehlten ihr, mehr noch ihre Liebe. Zu Irmgard, die nun ihren Platz einnahm, hatte sie kein besonders herzliches Verhältnis aufbauen können. Sie mochte ein liebes Mädchen sein, aber ihre Wesensart war Brünhild unbegreiflich. Auch Gunter war ihr fremd geblieben. Sie verstand ihn nicht, und, um ehrlich zu sein, es war ihr gleichgültig. Unter anderen Umständen hätte sie es vermutlich rührend gefunden, dass er sie nach vier Jahren immer noch umwarb. Aber alles, woran sie in seiner Gegenwart denken konnte, war, dass er nicht Sigfrid war. Stets sah sie, was Sigmunds Sohn besser gemacht hätte. Sigfrid hätte schneller reagiert. Sigfrid hätte mehr gelacht. Sigfrid hätte mit ihr gestritten und nicht in allem nachgegeben. Sigfrid war offen und mutig und scheute sich vor keiner Auseinandersetzung und   –
    Was für einen Sinn hatte es, sich selbst zu quälen?
    Hin und wieder gestattete sie Gunter, ihr beizuliegen. Doch was immer er tat, wie sehr er sich auch um sie bemühte, niemals, niemals ließ sie zu, dass er sie küsste. Beharrlich stellte sie klar, dass es zwischen ihnen keine Liebe geben würde.
    Vier Jahre lang hatte sie darauf gehofft, Sigfrid wiederzusehen. Die ersten beiden Jahre führten er und sein Vater Krieg gegen die Ostkönige. Im darauffolgenden Jahr brachte Brünhild eine Tochter zur Welt und erwachte für kurze Zeit aus ihrer Gleichgültigkeit. Das Kind gab ihr die Freude am Leben zurück. Es starb kurz nach der Namensbefestigung. Im letzten Jahr dann gab es zwischen Jarl Elsung und den Niflungen eine sinnlose Fehde um die Reichsgrenzen, die erst wegen des Winters eingestellt wurde. Aber jetzt endlich hatte sie Gunter überreden können, Sigfrid einzuladen. Sie wollte verstehen, was ihr unmöglich war zu verstehen. Sie brauchte eine Antwort auf ihre Fragen, eine Antwort, mit der sie leben konnte.
     
    In der Großen Halle sah es verheerend aus. Der Fußboden im ersten Stock hatte nachgegeben und war zur Hälfte eingestürzt. Gunter und Hagen besahen sich den Schaden und starrten durch das Loch nach oben. Zerbrochene Fliesen aus gebranntem Ton lagen auf Tischen und Bänken, Staub hing in der Luft. Gunter kämpfte gegen einen Hustenreiz an, während er abzuschätzen versuchte, ob das Loch zu stopfen sein würde. Aber mit dem Herzen war er nicht bei der Sache.
    Nach wie vor bemühte er sich vergeblich um Brünhild. Er tat für sie, was in seinen Kräften stand, aber sie bemerkte es gar nicht. Er versuchte es mit Geduld. Er versuchte es mit Verständnis. Hin und wieder versuchte er sogar, sie in Ruhe zu lassen. Nicht einmal das bemerkte sie. Für ein freundliches Wort von ihr hätte er alles getan. Ein wenig Wärme von ihrer Seite hätte ihm für den Anfang schon genügt. Aber sie verabscheute ihn wie eh und je. Nein, schlimmer: Er war ihr gleichgültig.
    Mehrmals lag ihm auf der Zunge, Brünhild die Vorgänge der Brautnacht zu gestehen, aber er wusste, sie würde ihn dafür verachten, und er konnte alles ertragen, nur nicht

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