Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Strand.
»Matthew, was würdest du tun, wenn wir die Goldkammer finden und du plötzlich reich wärst?«
»Das Geld ausgeben. Mein Leben genießen.«
»Wofür? Wie?«
»Für dies und das.« Er zuckte mit den Schultern, aber inzwischen kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht mit Gemeinplätzen zufrieden geben würde. »Ein Boot. Ich werde mir ein Boot bauen, sobald ich die Zeit und die Mittel dazu habe. Vielleicht kaufe ich mir außerdem ein Haus auf einer Insel wie dieser.«
Sie spazierten an den Gästen des nahe gelegenen Hotels vorbei, die müßig die letzten Sonnenstrahlen genossen. Hotelangestellte in geblümten Hemden und weißen Shorts eilten mit Tabletts voller tropischer Getränke durch den Sand.
»Ich bin noch nie reich gewesen«, sagte er halb zu sich selbst. »Es dürfte nicht allzu schwierig sein, sich daran zu gewöhnen, so zu leben. Tolle Hotels, tolle Klamotten, dafür bezahlen, dass man nichts zu tun braucht.«
»Aber du würdest trotzdem tauchen?«
»Klar.«
»Ich auch.« Unbewusst nahm sie seine Hand, während sie die duftenden Hotelgärten durchquerten. »Das Rote Meer, das Barrier Reef, der Nordatlantik, das Japanische Meer … Es gibt so viel zu sehen! Wenn ich mit dem College fertig bin, werde ich mir alles anschauen.«
»Du studierst Meeresarchäologie, richtig?«
»Genau.«
Er warf ihr einen Blick zu. Ihr helles Haar war von Salz und Wind zerzaust. Sie trug weite Baumwollhosen, ein knappes T-Shirt und eine eckige Sonnenbrille mit schwarzer Fassung.
»Du entsprichst nicht unbedingt der landläufigen Vorstellung von einer Wissenschaftlerin.«
»Wissenschaftler brauchen Verstand und Einfallsreichtum, keinen Sinn für Mode.«
»Da hast du aber Glück gehabt.«
Gelassen zuckte sie mit den Schultern. Obwohl ihre Mutter gelegentlich in Verzweiflung geriet, machte Tate sich keine Gedanken über ihre Kleidung. »Ist doch egal, solange ich einen guten Neoprenanzug habe … Zum Tauchen brauche ich keinen Schrank voller schöner Kleider, und genau das werde ich mein Leben lang tun. Stell dir nur vor, dafür bezahlt zu werden, dass man auf Schatzsuche geht, die gefundenen Gegenstände untersucht und studiert!« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt so vieles, was wir noch nicht wissen.«
»Ich persönlich habe nie viel von Schulen gehalten.« Tatsächlich waren die Lassiters so viel herumgezogen, dass Matthew gar keine andere Wahl geblieben war. »Ich bin eher ein Autodidakt.«
Sie nahmen ein Taxi in die Stadt, wo Tate ihren Film abgab. Zu ihrer Freude schien es Matthew nichts auszumachen, dass sie noch einen Schaufensterbummel unternehmen und sich verschiedene Schmuckstücke ansehen wollte. Eine Weile begutachtete sie ein kleines goldenes Medaillon, von dessen unterer Spitze eine einzelne Perle baumelte. Kleidung benötigte man, um sich die Unbilden der Witterung vom Leib zu halten, Schmuck dagegen war eine verzeihliche, harmlose Schwäche.
»Ich hätte nie gedacht, dass du dich für solche Sachen
interessierst«, bemerkte Matthew und lehnte sich neben sie an die Theke. »Eigentlich trägst du doch gar keine Klunker.«
»Mom und Dad haben mir einen kleinen Rubinring zu Weihnachten geschenkt, als ich sechzehn war. Ich habe ihn beim Tauchen verloren. Es brach mir fast das Herz, und seitdem trage ich unter Wasser keinen Schmuck mehr.« Sie löste den Blick von dem zierlichen Medaillon und griff nach seiner silbernen Münze. »Vielleicht sollte ich den Peso, den Buck mir gegeben hat, als Glücksbringer tragen.«
»Bei mir funktioniert es jedenfalls. Möchtest du etwas trinken?«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe. »Lieber ein Eis.«
»Eis.« Er dachte nach. »Also gut.«
Sie kauften sich welches und spazierten dann gemächlich den Bürgersteig entlang, erkundeten die engen Gassen. Tate war gerührt, als Matthew eine cremeweiße Hibiskusblüte von einem Strauch pflückte und wie selbstverständlich hinter ihr Ohr steckte. Während sie Marlas Lebensmittel einkauften, unterhielt er sie mit der Geschichte von Buck und Blackbeards Geist.
»Wir lagen vor Ocracoke, und Buck hatte Geburtstag. Sein fünfzigster. Der Gedanke, dass bereits ein halbes Jahrhundert hinter ihm lag, deprimierte ihn so sehr, dass er eine halbe Flasche Whiskey trank. Ich half ihm bei der anderen Hälfte.«
»Das dachte ich mir.« Tate wählte eine Staude grüner Bananen und legte sie in ihren Korb.
»Er faselte ständig davon, was hätte sein können. Du weißt schon: Wir hätten das
Weitere Kostenlose Bücher