Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
genau, dass ich hier noch eine Flasche hatte.«
»Ich bevorzuge Beaujolais«, bemerkte LaRue. »Zimmertemperatur.« Er hörte, wie sich die Fliegengittertür öffnete, und markierte die Stelle in seinem Faulkner-Roman. Das Abendprogramm würde gleich beginnen.
»Du hast meinen Whiskey geklaut, du verdammter Kanadier!«
Als LaRue grinste und dabei seinen Goldzahn funkeln ließ, mischte sich Matthew ein. »Es gibt keinen Whiskey, ich habe ihn entsorgt.«
Mehr durch seinen morgendlichen Alkoholkonsum als durch seine Prothese behindert, wandte Buck sich ihm zu. »Du hast kein Recht dazu, mir meine Flasche wegzunehmen.«
Wer ist dieser Mann, dachte Matthew, dieser Fremde? Wenn Buck sich irgendwo hinter diesem aufgedunsenen, unrasierten Gesicht und den rot umrandeten, glasigen Augen verbarg, so konnte er ihn nicht mehr erkennen. »Recht oder kein Recht«, erklärte er ruhig, »ich habe ihn weggekippt. Versuch es mit Kaffee.«
Zur Antwort riss Buck die Kanne vom Herd und schleuderte sie gegen die Wand.
»Also keinen Kaffee.« Matthew verspürte den Impuls, seine Hände zu Fäusten zu ballen, und vergrub sie in den Hosentaschen. »Wenn du dich besaufen willst, musst du das woanders tun. Ich sehe jedenfalls nicht dabei zu, wie du dich umbringst.«
»Das ist ganz allein meine Sache«, murmelte Buck und humpelte über zerbrochenes Glas und verschütteten Kaffee.
»Nicht, solange ich hier bin.«
»Aber du bist nie hier, stimmt’s?« Beinahe wäre Buck auf den nassen Fliesen ausgerutscht. Er rappelte sich wieder hoch. Sein Gesicht war vor Demütigung rot angelaufen.
Jeder einzelne Schritt machte ihm seine Behinderung bewusst. »Du tauchst hier auf, wenn dir danach zumute ist, und verschwindest plötzlich wieder. Du hast überhaupt kein Recht, mir zu sagen, was ich in meinem Haus zu tun und zu lassen habe!«
»Es ist mein Haus«, erklärte Matthew ruhig. »Du stirbst hier nur.«
Er hätte dem Schlag ausweichen können. Bucks Faust auf seinem Kiefer nahm er gelassen hin. Beiläufig stellte er erfreut fest, dass sein Onkel immer noch gezielt zuschlagen konnte.
Während Buck ihn anstarrte, wischte Matthew sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund. »Ich gehe aus«, erklärte er und verschwand.
»Geh ruhig, geh doch weg!« Buck torkelte zur Tür und rief durch den trommelnden Regen hinter ihm her: »Weglaufen ist schließlich das, was du am besten kannst. Warum läufst du nicht einfach immer weiter? Hier braucht dich niemand. Niemand braucht dich.«
LaRue wartete, bis Buck ins Schlafzimmer zurückgehumpelt war, dann stand er auf und schaltete den Herd aus. Er nahm Matthews Jacke mit und verließ den Trailer.
Sie waren erst seit drei Tagen in Florida, aber LaRue wusste ganz genau, wo er Matthew finden würde. Er drehte den Schirm seiner Kappe so, dass der Regen ihm nicht ins Gesicht prasselte, und machte sich auf zum Yachthafen.
Der Steg lag fast verlassen da, und an der Betongarage, die Matthew gemietet hatte, fehlte das Vorhängeschloss. Matthew hockte auf dem Bug seines fast fertigen Bootes.
Es hatte einen doppelten Rumpf und war fast genauso breit wie lang. LaRue war auf den ersten Blick beeindruckt gewesen. Ein hübsches Boot, nicht zu zerbrechlich, sondern widerstandsfähig und hart. Genauso mochte LaRue seine Boote – und seine Frauen.
Matthew hatte das Deck so entworfen, dass es über dem
Rumpf lag und bei rauer See geschützt blieb. Die beiden Buge waren nach innen gebogen, um Wellen abzufangen und nicht nur eine schnelle, sondern auch eine sanfte Fahrt zu gewährleisten. Lagerkapazität und Sitzraum waren reichlich vorhanden. Aber LaRues Meinung nach waren die zwanzig Quadratmeter offenes Deck vorn die Meisterleistung dieser Konstruktion.
Dort werden wir unsere Schätze lagern, dachte LaRue.
Es musste nur noch letzte Hand angelegt werden. Farbe und Beschläge, Apparate für die Brücke, Navigationsgeräte. Und, so dachte LaRue, ein passender Name.
Er kletterte hinauf, wieder einmal beeindruckt von den klaren Linien der Buge. Das Boot würde über das Wasser fliegen!
»Und wann machst du dieses Ding fertig?«
»Jetzt habe ich ja genügend Zeit, oder nicht?« Matthew betrachtete die Reling aus Messing und Teak. »Was mir fehlt, ist Geld.«
»Ich habe genug Geld.« Nachdenklich zog LaRue einen Lederbeutel hervor und machte sich an den langsamen und für ihn so genüsslichen Prozess, sich eine Zigarette zu drehen. »Wofür soll ich es ausgeben außer für Frauen? Und die sind nicht so teuer, wie die
Weitere Kostenlose Bücher