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Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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aufgeregtes Erschauern.
    Er nickte heftig. »Das war allein die Schuld von dem Scheißkerl Rose, sagt mein Vater. Er ist beim TO in Ungnade gefallen.«
    »Der Kommandant der Vengeance? «
    »Lieutenant. Aber das ist er jetzt nicht mehr. Man hat ihn erwischt, mit Falschgeld. Jetzt ist er nicht mehr im Dienst.« Der Junge nickte. Er schien dem Urteilsspruch über diesen Scheißkerl Rose zuzustimmen.
    Interessant. Ein Gefangener flieht von der Vengeance , deren Kommandant wird kurz darauf festgenommen wegen Geldfälscherei, und zwei Gefangene werden auf Ehrenwort freigelassen. »Sag mal, junger Mann«, sagte sie, während sie noch immer auf das Wasser schaute, »du weißt ja sehr gut Bescheid mit all dem, was das Transport Office macht. Ist es üblich, dass Gefangene von der Vengeance auf Ehrenwort freigelassen werden?«
    »Nein«, sagte er, verwundert über ihre Unwissenheit. »Entlassung auf Ehrenwort gilt nur für Offiziere. Die Franzmänner auf der Vengeance sind keine Offiziere.«
    Beatrix holte einen Schilling aus ihrem Pompadour. Jede weitere Frage würde zu viel Aufsehen erregen, auch wenn sie den Jungen am liebsten mit noch mehr Guineen bedacht hätte. »Danke, Kind. Du hast mir alles sehr gut erklärt. Und jetzt lauf nach Hause zum Abendessen.«
    Seine Schritte klangen hohl auf den Holzplanken des Kais. Sie schaute ihm nach. In der Stadt brannten schon die Lichter. Männer gingen die Straße entlang, die an den Kais vorbeiführte, die Hard genannt wurde, aber die geschäftige Hafenatmosphäre hatte sich bei Einbruch der Nacht gelegt.
    Sie wählte ein Schiff aus, das auf halbem Wege zur Vengeance lag. Dann richtete sie sich hinter einem Stapel von Fässern, der sie vor Blicken von der Hard her schützte, aufs Warten ein. Sie fragte sich, ob sie ihre Zeit vielleicht verschwendete und ob es einen anderen Weg gab, John zu finden. Gegen Mitternacht beschwor sie ihren Gefährten und ließ seine Kraft durch ihre Adern fließen. Die Luftwirbel umschlossen sie und brachten die vertraute Welle von Vitalität. Im Geiste griff sie nach dieser Energie, rief nach mehr, dann hüllte sie sich darin ein wie in einen Umhang. Die Energie kam, wuchs mit einem schrillen Geräusch bis zu dem Moment, in dem Beatrix in einem qualvollen, ekstatischen Augenblick des Schmerzes verschwand. Sie materialisierte sich wieder an Deck des ausgewählten Schiffes, das im Dunkel der Nacht auf den Wellen dümpelte.
    Der Schreck stand den beiden Männern an Deck ins Gesicht geschrieben; ihnen blieb der Mund offen stehen. Einer besaß genügend Geistesgegenwart zu rufen. Beatrix wartete lediglich ab, bis sie wieder Herr ihrer selbst war, dann befahl sie die Kraft des Gefährten erneut herbei. Die Seeleute verschwanden in wirbelndem Schwarz. Die quälende Ekstase kehrte zurück, und schon stand sie auf dem Achterdeck der Vengeance , während die wirbelnde Schwärze um sie herum sich auflöste. Sie rang nach Atem, und der Schmerz ebbte ab. Das Deck war leer, bis auf einen Wachmann, der auf dem Vorschiff Wache ging, und den, der auf dem Achterdeck patrouillierte. Aus der Kajüte war lautes Lachen zu hören, und eine Stimme rief: »Polton, he, Polton, die Flasche steht genau vor dir!« Zahllose Stimmen murmelten unter ihren Füßen. Das heruntergekommene Schiff hatte sämtliche Schotten für die Nacht dicht gemacht. Sie nahm den stechenden Geruch ungewaschener Körper wahr, der zu ihr hochstieg; auch hatte die Flut die Ausscheidungen der Menschen auf dem Vorschiff noch nicht fortgespült.
    Warum war sie hergekommen? John war hier gewesen. Sie war sicher, dass er geflohen war, dass ihm dies als Einzigem geglückt war. Was sie wissen wollte, war, warum er überhaupt eine Haft auf diesem schrecklichen Gefängnishulk arrangiert hatte. Hatte es etwas mit der Mission zu tun, auf der er sich zurzeit befand? Er war nur einen Tag in London geblieben, bevor er wieder abgereist war. Ob die Offiziere es wussten? Sie hielt das für unwahrscheinlich. Sie ahnten nichts von seinen Geheimnissen, sonst hätten sie ihn niemals auf diese Weise bestraft.
    Sie schaute zu Boden, wohlwissend, dass fünfhundert Gefangene, einige davon vermutlich Mörder, aber alle erfüllt vom Gedanken an eine Flucht, dort unter ihr waren. Einige von ihnen mussten John kennen, oder St. Siens, wie er sich genannt hatte. Vielleicht wusste einer von ihnen mehr. Sie atmete tief durch. Sie war stärker als diese Männer. Sie konnte in der völligen Dunkelheit dort unten in den Schiffsräumen sehen.

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