Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
Fenster, rief geschwächt nach ihrem Gefährten. Der Schrei der Haushälterin hallte bis in die Schwärze hinein, die sie umhüllte, bevor das Zimmer aus ihrem Blickfeld verschwand.
Beatrix starrte aus dem Fenster der Kutsche, die von vier Grauen gezogen wurde. Sie fühlte sich wie betäubt. Der Mond schien durch transparente Wolken. Asharti war dabei, neue Vampire zu schaffen, die ihre Befehle ausführten. Sie wollte eine neue Weltordnung. Welche Art Welt würde jemand wie Asharti wohl erschaffen? Allein die Möglichkeit, dass sie es tun könnte, war undenkbar.
Das Schiff sollte in Dover ablegen. Wo Jerry Williams lebte. Das Entsetzliche, das sie gerade getan hatte, musste wiederholt werden. Ihr stockte der Atem. Hatte sie nicht ihr Leben damit begonnen, die Kehlen jener aufzureißen, von denen sie getrunken hatte? Hatte sie nicht zusammen mit Asharti den letzten Tropfen getrunken oder in der Schlacht getötet, wie nur jemand mit ihrer Kraft es konnte?
Aber sie hatte seit sechshundert Jahren nicht mit voller Absicht und kaltblütig getötet. Sie hatte sich geschworen, dass das hinter ihr lag. Ihre Gedanken jagten dahin, voraus nach Frankreich. Sie war auf dem Weg ins Land der Guillotine, um Asharti in ihrer Höhle mutig entgegenzutreten und aus dem Mund des Bösen selbst zu erfahren, was sie John angetan hatte. Er war tot, ohne jeden Zweifel. Beatrix konnte Asharti nicht aufhalten. Das ganze Vorhaben war vermutlich sinnlos. Es würde mit ihrem eigenen Tod durch Ashartis Hand enden, auf die gleiche Art, wie sie Barlow getötet hatte.
Aber es war unvermeidlich. Sie konnte John nicht einfach zurücklassen, wie sie jenen Ritter und seinen Knappen zurückgelassen hatte, wie Stephan und Rubius ganze Kontinente Asharti überlassen hatten, als hätten sie keinerlei Bedeutung. Wut wand sich wie ein Wurm in ihrem Bauch. Töricht, in der Tat, aber sie wollte die Konfrontation. Ihre Finger krallten sich in den Stoff der Sitzpolster. Asharti durfte nicht gewinnen.
Vielleicht sollte sie sterben. Sie würde es herausfinden.
Die verwahrloste Stadt Dover breitete sich vor der Kutsche aus. Beatrix beugte sich aus dem Fenster. Die Luft war durchsetzt vom fauligen Geruch der See. »Woolcomber Street, am Fuß der Burg«, rief sie dem Kutscher zu. Selbst von hier aus konnte sie die Klippen mit dem römischen Leuchtturm sehen, der sich gegen das helle Mondlicht abhob. Sie sagte dem Pferdeknecht, dass er am Fuße des Hügels warten solle, und glitt hinaus in die Nacht. Es war noch eine Stunde bis zur Morgenflut. Genug Zeit.
Sie rief ihren Gefährten und translozierte sich ins vordere Schlafzimmer des kleinen Hauses, dessen winziger, verwilderter Garten sich an einen Hügel schmiegte. Der Mann wachte, im Dunkeln. Sie konnte seine Vibrationen spüren, genau wie er ihre spürte.
»Was … w-was w-wollen Sie?« Er war ein hagerer junger Mann mit Sommersprossen und großen abstehenden Ohren. Und er fürchtete sich vor ihr. Das sollte er auch.
Sie wurde zu Stein, weigerte sich zu denken, weigerte sich, etwas zu fühlen. »Du bist nicht draußen, um Nahrung zu suchen?«, fragte sie sanft. »Oder versteckst du dich in diesem Haus mit deiner Mutter? Was für eine Art Vampir bist du?«
»Einer, der geschaffen wurde.« Seine Stimme bebte definitiv.
»Hat Asharti dir nichts über das Eindringen ins Territorium eines anderen Vampirs gesagt?«
»Nein. Aber ich werde morgen Nacht für immer fortgehen«, jammerte er.
»Du wirst schon heute Nacht für immer fortgehen.«
»Bitte.« er winselte fast. »Ich habe nur getan, was mir gesagt wurde. Ich kenne diese Asharti nicht, von der Sie reden. Ich schwöre, ich kenne sie nicht.«
»Wer hat dich zum Vampir gemacht?«, fauchte sie. »Willst du mir sagen, dass es nicht Asharti war?«
»LeFèvre«, keuchte er. »LeFèvre hat mich gezwungen, sein Blut zu trinken. Ich wollte es nicht, ich schwöre.«
»Wo ist der, der dich gemacht hat, jetzt?«
Sie sah, wie seine Augen sich mit Tränen füllten. »Er ist nach Frankreich zurückgegangen, Miss. Und wie soll ich weiterleben, wenn er mir nicht mehr sagt, was ich tun soll?«
Sie knurrte und stieß Jerry zurück aufs Bett. Derjenige, der ihn geschaffen hatte, befand sich außerhalb ihrer Reichweite. Aber dieser hier nicht. Sie kniete sich auf Jerrys Brust und umfasste seinen Hals mit beiden Händen. Keine Gefühle, dachte sie keuchend. Zeig keine Gefühle. Du hast keine Wahl. Sie drückte zu, schloss die Augen und bereitete sich darauf vor, ihm den
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