Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
sie mehr.
Beatrix sagte nichts. Gedanken wirbelten in ihrem Kopf umher. Sie hatte keine Mutter. Keinen Vater. Keine Geschwister. Keinen Stephan. Sie war allein in einer Welt, die sie für ein Ungeheuer hielt, unter Wesen, die sie niemals verstehen, geschweige denn akzeptieren würden. Sie zitterte. Asharti war alles, was sie noch auf der Welt hatte. Allein dieser Gedanke war es, der sie in diesen letzten Monaten bei Asharti hatte ausharren lassen.
Aber Beatrix wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als all das aufzugeben, selbst wenn sie verleugnen musste, was sie wirklich war. Ashartis Art zu leben zerrte an ihr. Beatrix holte tief Luft. Was konnte sie sagen? Asharti wartete, die schwarzen Augen waren ausdruckslos. Vielleicht war es bereits gesagt, und die Worte mussten gar nicht mehr ausgesprochen werden. »Ich denke nicht, dass ich das kann, Asharti.«
»Aber du bist nicht krank.« Asharti sagte das wie einen Urteilsspruch.
»Ich denke, ich war krank«, erwiderte Beatrix und beeilte sich weiter zu sprechen. »Stephan hat mich verletzt, und er hat dich verletzt, ganz egal, was du sagst. Wir haben versucht, ihn zu bestrafen, indem wir all seine Regeln gebrochen haben. Aber er ist nicht hier, Asharti. Es schadet ihm nicht. Aber uns.«
»Schaden?« Ashartis Augen verengten sich. »Uns? Wir sind Vampire, wir sind unsterblich.«
»Aber unsere Seele, Schwester, unsere Seele wird aufgefressen von jedem Leben, das wir nehmen. Es ist wie Rost auf Eisen, wie Fäulnis, die das Fleisch eines Aussätzigen frisst.«
Asharti erhob sich und warf sich ihr Gewand aus Samt über. »Was für einen Unsinn redest du da?«
Beatrix presste die Lippen aufeinander. »Lass uns nicht zu den Ungeheuern werden, für die uns alle halten.«
Asharti lachte. Es klang spröde. »Du hattest noch nie die Courage, die zu sein, die du bist, Bea. Und dabei wurdest du dazu geboren.« Sie zeigte auf den Ritter, der noch immer keuchend auf dem Teppich lag. »Sie haben keinen anderen Nutzen als den, unseren Durst zu stillen. Sie sind schwache Kreaturen. Wir sind mächtig. Wir haben den Gefährten in unserem Blut, und zwei sind stärker als eins plus eins.« Ein Ausdruck von Kränkung flackerte in ihren Augen auf. »Sei nicht so klein wie sie, Bea.«
Beatrix versuchte weiter zu atmen. Sie wusste, sie hatte wenig gemeinsam mit den beiden Männern, die vor ihr auf dem Boden lagen und dem Tod so nah waren. Genau genommen hatte sie mit keinem Lebewesen im Umkreis von hundert oder mehr Kilometern etwas gemein, außer mit Asharti. Asharti war ihre Seelenverwandte.
»Hast du dich von diesen Christen dazu verleiten lassen, dich zu schämen?« Asharti sah sie aus schmalen Augen an.
»Nein. Ich kenne keinen Gott, der uns etwas anhaben könnte«, wisperte Beatrix.
»Was ist es dann? Warum kannst du nicht akzeptieren, wer wir sind, und es einfach annehmen?« Ashartis Stimme wurde schrill. »Wir können alles sein, Bea. Wir können die Welt beherrschen. Wir können alle Freuden genießen, die es gibt. Du liebst Bücher. Wir können alles lernen, was es zu lernen gibt.« Ihre Worte klangen jetzt flehend. »Wir sind Göttinnen, Bea.« Etwas, das sie in Beatrix’ Gesicht sah, hieß sie weitersprechen. »Du willst das hier nicht?« Sie versetzte dem Ritter einen Fußtritt. »Dann lassen wir es. Wer wäre göttlicher als wir?«
»Ich muss es beenden, Asharti.« Beatrix war überrascht darüber, wie gleichmütig ihre Stimme klang. Sie hörte sich entschlossener an, als sie selbst sich im Innern fühlte. »Komm mit mir. Lass uns neue Wege finden zu leben.«
Asharti schwieg. Dann richtete sie sich auf. »Mir gefällt das hier.«
»Zu gut.«
»Was heißt ›zu gut‹? Wie kann dir das Leben zu gut gefallen? Was ist übrig vom Leben, wenn dich nach nichts hungert?« Die Worte stolperten aus dem zu weit geöffneten Mund in jenem von einem leichten Akzent gefärbten Französisch.
»Leidenschaft fürs Leben ist wichtig.« Beatrix sagte es vorsichtig; sie versuchte, die Wahrheit zu sagen, wie sie sie begriff. Asharti war ihre Schwester, ihre Freundin, diejenige, die sie immer bewundert hatte, die Einzige, die sie verstand. »Aber Verlangen muss geformt werden, wie Stahl, wenn er halten soll.«
»Wir sind unsterblich!« Asharti hörte sich an, als spräche sie zu einem Kind. »Was wäre dauerhafter als das?«
»Ich weiß. Und es macht mir Angst.« Beatrix schluckte. »Ich muss einen neuen Weg einschlagen. Komm mit mir …«
»Nein.«
Das war genau das, was sie
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