Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
etwas durch ihr Blut zu, so leise, dass sie sich anstrengen musste, es zu hören. Sie konnte es nur erahnen. Und dann war es fort. Sie saugte fester an seiner Kehle, aber nichts kam mehr.
Sie zog sich zurück, verwirrt, enttäuscht.
Asharti starrte sie aus ihren schwarz geschminkten, dunklen Augen an.
Beatrix spürte das Drängen des Gefährten schwächer werden. Das Zimmer sah schmutzig grau aus, alle Farbe war daraus verschwunden. Ihr Blick kehrte zurück zu Ashartis verwirrtem Gesicht und fiel dann auf Rolf. Er lag da mit weit aufgerissenen Augen, und er war unglaublich bleich, bis auf die Tropfen von Blut an seinen Wunden. Sein Fleisch schien verschrumpelt.
Beatrix fühlte sich weit von sich entfernt und benommen. »Was ist passiert?«, fragte sie langsam.
»Du … du hast ihn leer getrunken«, wisperte Asharti. Dann, als Beatrix nicht zu begreifen schien: »Er ist tot.«
Beatrix’ Blick zuckte zurück auf Rolf. Tot? Er war tot? Sie hatte ihn getötet?
Asharti kroch auf allen vieren zu ihr, bis sie Beatrix direkt in die Augen sehen konnte; Rolfs Körper lag unter ihnen. »Es war ein gutes Gefühl, nicht wahr?«
Sie konnte nicht antworten. Die Welt kehrte zu ihr zurück, und mit ihr kam das schreckliche Begreifen, was dieses Wispern, das sie nicht genau hatte hören können, gewesen war. »Asharti, was habe ich getan?«
»Was du schon hundertmal getan hast. Mach nicht solch einen Wirbel darum.«
»Aber das war, bevor ich es wusste. Ich habe noch nie jemanden leer getrunken, sie sind einfach verblutet. Das ist etwas anderes. Und ich habe nicht getötet – nicht, seit Stephan gesagt hat –«
»Stephan!«, schnaubte Asharti. »Stephan wollte, dass wir nur halb lebendig sind.« Beatrix begann zu zittern, als Asharti sie an den Schultern packte. »Wir sind dazu geboren, von ihnen zu trinken. Verschont der Löwe seine Beute? Wir wurden gemacht, um sie zu töten.«
Beatrix berührte ihre Lippen mit den Fingerspitzen.
»Du hast seine Seele gespürt, nicht wahr?« Ashartis Augen glühten, nicht im Rot des Gefährten, sondern vor Erregung. »Lass uns nach unten gehen. Ich will heute Nacht auch eine Seele spüren.«
Beatrix zuckte vor dem Wegelagerer zurück. »Du wirst dich an nichts erinnern«, murmelte sie, während ihr Gefährte sich zurückzog. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dieser wird nicht sterben , sagte sie sich. Ich habe seit mehr als sechshundert Jahren nicht getötet. Aber ihr Atem ging kurz. Der Mann lag unter einem Baum. Er würde aufwachen, ein wenig geschwächt, aber das war nichts, was eine gute Mahlzeit nicht wieder würde ausbügeln können. Beatrix stolperte zurück ins Dunkel.
Sie war entsetzt gewesen, dass sie Rolf in jener Nacht getötet hatte, und voller Scham. Sie erinnerte sich noch nach fast siebenhundert Jahren an den Namen des Kreuzritters, eines Mannes, den sie ein oder zwei Stunden gekannt hatte. Aber er war nicht der Letzte. Asharti machte sich über Beatrix’ Überempfindlichkeit lustig, drängte sie zum Zuschauen, während sie damit experimentierte, den letzten Tropfen zu nehmen. Nichts geschah, um Asharti zu strafen. Es schien, als müsste sie keinen Preis für ihre Missachtung von Stephans Lehren zahlen. Bald war es Beatrix, die stets mit dem Trinken begann, um es von Asharti zu einem Ende bringen zu lassen. Und indem sie zuließ, dass Asharti es zu Ende führte, wurde sie zur willigen Komplizin. Sie sah zu, wie Asharti lernte, das letzte Wispern des Lebens an ihren Lippen noch intensiver zu spüren, indem sie es mit einem Orgasmus kombinierte. Beatrix sah zu, wie Asharti in atemloser Ekstase zuckte und dadurch noch lebendiger wurde. Obwohl dem flüchtigen Gefühl immer Reizbarkeit und Depression folgten, sagte Asharti, dass diese Ekstase es wert sei.
Eines Nachts dann zerbrach etwas in Beatrix. Warum sollte sie sich diese Ekstase versagen, obwohl doch keine Konsequenzen folgten, wenn man sich ihr hingab? Es klang so logisch, wenn Asharti sagte, dass das Saugen des letzten Tropfens ein Symbol für ihre Freiheit von Stephan sei. In jener Nacht saugte Beatrix einen jungen Bauern leer, auf einer frisch gemähten Wiese unter dem Herbstmond. Es machte sie sogar heute noch vor Scham schaudern, nicht vor Ekstase. Beatrix und Asharti nahmen sich den letzten Tropfen wieder und wieder, immer auf der Jagd nach der Seele eines Mannes wie auch nach seinem Blut. Faszinierender Sex war gepaart mit Blut und Tod. Fast hundert Jahre lang tobten sie sich in Europa aus,
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