Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
wieder bei mir aufnehmen werde.«
Sie hatte Asharti seitdem nicht wiedergesehen. Natürlich hatte sie einiges über sie gehört. Asharti war in den Orient zurückgekehrt. Sie hatte sich einen Diener namens Fedeyah genommen, einen Eunuchen, der alles für sie besorgte. Angeblich führte sie eine Sekte von Kannibalen im tiefsten Afrika an. Das konnte natürlich nicht wahr sein. Eine Zeit lang hatte Beatrix gedacht, Stephan würde von Ashartis Eskapaden erfahren und sie irgendwie aufhalten. Aber er tat es nicht. Offensichtlich kümmerten sich die Ältesten im Kloster Mirso nicht darum, solange Asharti sich nicht in Europa aufhielt.
Von Zeit zu Zeit hörte Beatrix etwas auch über Stephan. Er hatte in Nepal gelebt. Sie nannten ihn bei einem fremdländischen Namen. Dali Lama oder so ähnlich. Er war Cortez an den Küsten der Neuen Welt begegnet, die natürlich nicht neu war, weil die Zivilisation, die Stephan damals als Gott regierte, dort schon seit tausend Jahren existierte. Sie brachten ihm Blut von menschlichen Opfern dar. Von Khalenberg erfuhr sie, dass Stephan sich jetzt in Amsterdam aufhielt. Es war egal. Sie war allein, wie es von Vampiren verlangt wurde. Einer in jeder Stadt. Einer, allein, genau wie die Regeln es vorgaben.
Beatrix stützte den Kopf in die Hände. Die Kälte des Bodens und des Felsens an ihrem Rücken durchdrang sie. Sie hatte Ashartis Weg vor mehr als sechshundert Jahren verweigert. Seitdem hatte sie alles versucht, um Leidenschaft und Sinn in ihrem Leben zu finden, Kunst und Wohltätigkeit und Literatur. Seitdem hatte sie niemals mehr den letzten Tropfen Leben genommen. Wenn sie getötet hatte, war es im Kampf gewesen. Sie hatte das Geld, das so leicht zu bekommen war, dazu benutzt, nach den endlosen Kriegen in Europa Waisen ein Heim zu geben, sie hatte Hospitäler gebaut. Was hatte es ihr gebracht? Das Gute, das sie tat, war ein Tropfen im Meer der Grausamkeit des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen. Macht und Politik interessierten sie nicht mehr. Selbst die Kunst hatte in letzter Zeit ihren Reiz für sie verloren. Denn sie konnte die Erinnerungen nicht unter Kontrolle halten. Die Musik wurde schal. Geistreiche Gespräche gab es nicht. Sie würde nie wieder ihre Salons am Berkeley Square geben. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, die Anstrengung auf sich zu nehmen, mit dem Duke of Devonshire zu reden oder die Aufmerksamkeiten des Prinzregenten abzuwehren.
Sie hatte keinen Hunger mehr nach dem Leben.
Sie war sehr dicht davor gewesen, wieder etwas zu wollen. Vor drei Wochen hatte sie Langley gewollt. Und er hatte sie verlassen. Gleichgültig. Ohne jedes Bedauern. Verfolgten die Erinnerungen an Stephan und Asharti sie, weil sie sich von Langley hatte einwickeln lassen und verraten worden war? Schließlich waren sie und Asharti nach dem Verrat Stephans Amok gelaufen. Oder vielleicht war Langley die Ursache dafür, nicht, wie sie gedacht hatte, eine Verschnaufpause davon. Gott! Sie wusste es nicht! Sie wusste nur, dass sie nicht wieder die Kontrolle verlieren wollte. Sie wollte nicht werden wie Asharti.
Es gab nur noch eine Möglichkeit, wie sie sich vor den Erinnerungen schützen konnte, vor der Dunkelheit und davor, zu werden wie Asharti. Das Kloster Mirso.
Es wurde Zeit zu packen.
Kapitel 13
J ohn beugte sich etwas zu formvollendet über die Hand der Comtesse de Fanueille. Sie war nicht so, wie er erwartet hatte. »Wie kann ein armer Händler Ihnen seine Ehrerbietung erweisen, Mylady?«
Die Frau mit dem schwarzen Kajalstrich um die Augen war womöglich das schönste Geschöpf, das er je gesehen hatte, Lady Lente eingeschlossen. Selbst in dem großen Empfangssalon Kaiser Bonapartes, unter den Blumen des französischen Kaiserreiches und vor einem Hintergrund aus Spitze und Seide und goldenen Tressen stellte sie durch ihr exotisches Flair alle in den Schatten. Sie roch sogar exotisch. Irgendwie war ihm dieser Duft vertraut. Durch den Salon folgten ihr verstohlene Blicke. Sie war der Liebling der Pariser Gesellschaft, eine Attraktion, wenn man so wollte, die die Stadt im Sturm erobert hatte. Er konnte sich vorstellen, dass diese Frau bekam, was immer sie auch haben wollte. Aber sie sollte der Kopf des französischen Geheimdienstes sein? Das erschien ihm kaum möglich. Er fragte sich, ob Dupré ihm eine falsche Information gegeben hatte, um ihn an der Nase herumzuführen.
»Sie sind zu freundlich.« Ihr Lächeln war kühl. Der Comte de Fanueille nannte sie seine Frau, ob sie das
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