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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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wünschen.« Erleichtert wandte Riordan seine Aufmerksamkeit wieder dem Geheimnis zu, das diese aufregende Dame umgab. »Und woher haben Sie nun dieses Bild, Zigeunerlady? Ist es gestohlen?«
    Sie fuhr ärgerlich auf: »Warum glauben Sie, dass ich eine Diebin bin? Nur weil ich das Leben einer Zigeunerin geführt habe?«
    »Beruhigen Sie sich, Zigeunerlady! Ich habe doch gar nicht behauptet, dass Sie das Bild gestohlen hätten!«
    »Das habe ich auch nicht, ebenso wenig wie irgendjemand anders. Und nennen Sie mich nicht immer ›Zigeunerlady‹!«, zischte sie ihn an.
    Riordan wirkte verblüfft über ihren hitzigen Ton. »Es tut mir Leid. Ich wollte keinesfalls andeuten, dass Sie eine Diebin seien. Ich kann Sie mir nur sehr schwer als Künstlerin vorstellen, aber vielleicht irre ich mich auch. Bisher haben Sie schon viele verschiedene Talente bewiesen – sind Sie vielleicht auch die Malerin des Bildes, das Sie in der Galerie verkauft haben?«
    Ihr Zorn fiel rasch in sich zusammen. Riordan besaß so angenehm höfliche Umgangsformen! »Nein. Ich war das Modell.« Sie sah die Betroffenheit in seinem gut geschnittenen Gesicht und fand es schwer zu verstehen, dass er bei der Vorstellung, sie habe einem Künstler Modell gestanden, so erschrocken war.
    »Glauben Sie mir etwa nicht?«, fragte sie.
    Er antwortete nicht; seine Gedanken zogen ihn mit unwiderstehlicher Macht in die Vergangenheit ...
    »Das Gemälde, das ich heute Abend verkauft habe, ist sehr gut«, sagte sie leise. »Der Besitzer der Galerie hat ein ganz ähnliches Bild in seinem Büro.« Es tat ihr gut, ihm das zu sagen. »Er hat anscheinend schon lange nach anderen Werken desselben Künstlers gesucht. Das war für mich sehr günstig.« Sie hatte es nicht einmal nötig gehabt, die trauernde Witwe zu spielen – es war alles überraschend leicht gegangen.
    Riordan starrte sie ungläubig an und beugte sich leicht vor. Sein Herz hämmerte so heftig gegen seine Rippen, dass er kaum sprechen konnte. Er musste ganz sichergehen, dass er sie richtig verstanden hatte.
    »Wollen Sie behaupten ... es gäbe ein Bild von Ihnen in der Harcourt Gallery, im Privatbüro des Besitzers?«
    »Schauen Sie mich nicht so erstaunt an!«, erwiderte sie, zutiefst gekränkt durch seine offensichtlichen Zweifel.
    »Merrion Square, Sir!«, rief der Fahrer in diesem Moment, und nach einer Fehlzündung, die sie beide zusammenzucken ließ, blieb der Wagen abrupt stehen.
    Bevor Riordan noch ein weiteres Wort herausbrachte, war sie ausgestiegen. Völlig verwirrt rief er ihr nach: »Warten Sie doch!« Ihm wurde klar, dass er keine Ahnung hatte, wie er sie erreichen konnte. Sie eilte in Richtung des St.-Stephen’s-Green-Parks, wo sie ihr Pferd angebunden hatte.
    »Tara!«, rief Riordan, der inzwischen ebenfalls ausgestiegen war, und hob den Schleier auf, den sie verloren hatte. Es kam keine Antwort. Sie war im nebligen Dunkel der Nacht verschwunden.
    Er starrte ihr nach, ohne recht zu begreifen, was soeben geschehen war. Die ganze Zeit über war er in Gesellschaft ebenjener Frau gewesen, die seine Träume beherrschte. Jene Frau, die ihn seinem Gefühl nach betrogen hatte, und er hatte es nicht einmal geahnt!
    »Was hat sie sich nur dabei gedacht, einfach so durch den Parkdavonzurennen? Alle möglichen Personen treiben sich dort herum, und erst letzte Woche ist eine Frau ermordet worden ... Das ist kein Ort für eine Lady!«
    »Soll ich eine Lampe anzünden, Sir?«, fragte der Fahrer.
    »Es hat keinen Sinn, Sykes. Sie ist längst fort, und wir würden sie ohnehin nicht mehr finden. Ich habe das Gefühl, sie kennt sich im Park sehr viel besser aus als wir.«
    Er hielt ihren Schleier in den Lichtstrahl der Frontscheinwerfer seines Wagens. Sichtlich befremdet, beobachtet Sykes, wie Riordan einige lange, rötliche Haarsträhnen von dem Tüll zupfte und diese dann eingehend betrachtete.
    »Sie ist wirklich Tara Killain! Nach all dieser Zeit muss sie förmlich wieder in mein Leben stolpern!« Riordan lächelte wehmütig, als ihm die Ironie der ganzen Sache aufging: Die einzige Frau, die ihn seit dem Zusammentreffen mit Tara, der Zigeunerin, vor so vielen Jahren hatte fesseln können, war ebendiese Frau: Tara Killain!

3
    D er Himmel war an diesem frühen Morgen bleigrau, und ein Grollen aus schweren, dunkeln Wolken kündete ein Gewitter an, als Tara leise das Zigeunerlager am Ufer des Liffey verließ.
    Das Lager war noch nicht zum Leben erwacht, doch in der frischen Morgenluft nahm Tara all jene

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