Der Ruf des Abendvogels Roman
wie, bevor ich es tue!«
Die Bedeutung seiner kaum verhüllten Drohung erschreckte sie zutiefst. Sie hatte gehört, dass Frauen manchmal auf Pferdemärkten verkauft wurden, und sie traute Jake alles zu. Sie hatte ihn niemals gemocht, denn er und seinesgleichen trugen die Schuld am schlechten Ruf der Zigeuner. Jake streckte die Hand aus, und Tara spürte, wie ihr Körper sich versteifte, obwohl sie sich geschworen hatte, keine Angst zu zeigen. Sie trug noch immer das Witwenkleid, und er berührte den winzigen, cremefarbenen Knopf gleich unterhalb ihrer Kehle und ließ seinen Blick dann abwärts wandern, an der Reihe der Knöpfe entlang zwischen ihre Brüste.
»Ich habe dich vorhin in diesen teuren Wagen steigen sehen«, sagte er, während sein Finger zum nächsten Knopf wanderte unddann zum übernächsten. Er war ihr so nah, dass Tara seinen warmen, alkoholgetränkten Atem an ihrer Wange fühlen konnte.
Sie erstarrte, doch es gelang ihr, die aufsteigende Panik hinter einer unbewegten Miene zu verbergen. Und es war ihre äußerliche Ruhe, die Jake am meisten reizte. So sehr er sie auch zu erschüttern suchte, es gelang ihm nicht. Mit dem Zeigefinger folgte er weiter der Knopfreihe. »Ist der Besitzer des Wagens dein reicher Liebhaber?«
»Natürlich nicht!« Tara fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Jake nahm ihr Erröten als Beweis ihrer Schuld, und seine Augen wurden schmal vor Eifersucht. Viele schlaflose Nächte lang hatte er sich unruhig herumgeworfen und sich vorgestellt, wie es sein mochte, sie leidenschaftlich zu lieben.
Tara, der seine Nähe und seine vertraulichen Berührungen unerträglich wurden, stieß seine Hand von sich, blieb aber ruhig stehen, als er den Kopf hob. Sein Blick traf den ihren, in dem offene Rebellion stand.
»Warum solltest du in seinen Wagen steigen, wenn er nicht dein Liebhaber ist?«
»Das geht dich nichts an.«
»Hast du etwas zu verbergen?«
»Du bist nicht mein Ehemann, ich schulde dir keine Erklärung.«
So in seine Grenzen gewiesen, zog sich Jake zurück. »Aber ich will mein Geld«, stieß er zwischen den Zähnen hervor, »also siehst du besser zu, dass du es beschaffst. Mir ist egal, wie du es machst oder mit wie vielen Männern du ins Bett gehst, während dein Mann im Gefängnis sitzt. Besorg mir einfach nur das Geld!«
Als er davonschlenderte, zitterte Tara vor Wut. Niemals würde sie Jake das Geld vom Erlös des Bildes geben, denn obwohl Garvie oft Schulden machte, hatte sie nur Jakes Wort dafür, dass es diesmal wieder so war. Und ihr galt Jakes Wort ungefähr so viel wie der Flussschlamm unter ihren Füßen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Tara das Gefühl, sie müsseaugenblicklich Pläne für ihre weitere Zukunft machen. Sie wollte aus dem Lager fort, weil sie ahnte, dass die Zigeuner ihr keine Wahl lassen würden. Zumindest hatte sie jetzt die Mittel, sich ein billiges Cottage zu kaufen und damit ein Dach über dem Kopf. Ein kleines Häuschen am Meer, so windschief es auch sein mochte, war immer ihr stiller Traum gewesen. Sie hatte vorgehabt, die Entlassung ihres Mannes aus dem Gefängnis abzuwarten und dann ein Heim für sie beide zu schaffen, doch war sie sich inzwischen nicht mehr sicher, ob es das war, was sie wirklich wollte.
Wenn sie sich ihre Zukunft mit Garvie vorstellte, sah sie sich immer allein und darauf wartend, dass er aus dem Gefängnis entlassen würde. Und obwohl sie nicht genau wusste, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte, war ihr doch klar, dass sie mehr von einer Beziehung erwartete. Sie wollte und brauchte einen starken Partner, jemanden, auf den sie sich verlassen konnte. Wenn sie einen solchen Mann nicht fand, wollte sie lieber allein bleiben.
Als Tara sich den Außenbezirken von Dublin näherte, ließ sie ihr müdes, altes Pferd im Schritt weitergehen und dachte an ihren bevorstehenden Besuch bei Garvie. Es war noch immer früher Morgen, Taras bevorzugte Tageszeit, denn dann hatte sie das Gefühl, mit der Welt und ihren Gedanken allein zu sein. Sie grübelte eben über verschiedene Möglichkeiten nach, Garvie gegenüber, das Thema Jake anzuschneiden, als ihr ein Rauchschleier auffiel, der zwischen einigen Baumwipfeln in der Nähe aufstieg. Neugierig lenkte sie ihr Pferd von der Straße und auf die Baumgruppe zu. Hinter Brombeerranken erspähte sie das Heck eines Wohnwagens. An den aufgemalten Tieren sowie Mond und Sternen erkannte sie den Wagen, der Eloisa gehörte. Die alte Frau, von den Zigeunern ausgestoßen, galt
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