Der Ruf des Abendvogels Roman
Überreste des alten Zauns entfernt, sodass nun am folgenden Morgen der neue aufgestellt werden konnte, und sie selbst hatte ihren Dünger aus Hühnermist verteilt, der Millionen von Fliegen anlockte. Tara beschloss, noch einen weiteren Tag zu warten, um zu sehen, ob die Heuschrecken kamen, die bisher sehr zu Tadds Freude noch nicht aufgetaucht waren. Er schien stolz darauf zu sein, dass Nugget sich geirrt und er Recht behalten hatte.
Abends verabschiedete sich Tara von Yani, Mona und Mumu und ging dann zu dem Trog neben der Hintertür, um sich die Hände zu waschen. Sie war sehr müde. Während sie sich zur Kühlung Wasser in Gesicht und Nacken spritzte, kam Sanja aus dem Haus und schleuderte den Inhalt einer Schüssel mit gebrauchtem Spülwasser in ihre Richtung. Sie war sicher, dass er es mit Absicht getan hatte, und schrie ärgerlich auf, als sie von der schmutzigen Brühe getroffen wurde – doch er ließ sich nicht zu einer Entschuldigung herab. Tara verfluchte ihn wütend und benutzte alle Kraftausdrücke, die sie bei den Zigeunern gelernt hatte, doch der Koch warf ihr lediglich einen geringschätzigen Blick zu und ging wieder hinein.
»Es gibt haufenweise Köche, die Arbeit suchen«, rief Tara ihm nach. »Ich werde Ethan bitten, allen zu sagen, dass auf Tambora jemand gesucht wird!«
Sanja streckte den Kopf aus der Tür und erwiderte: »Niemand arbeitet ohne Geld, Missus!«
Tara musste widerstrebend zugeben, dass er Recht hatte, doch das würde sich in naher Zukunft ändern!
Spät an diesem Nachmittag saß Tara nach einem Bad auf dem Balkon, um ihrem schmerzenden Rücken vor dem Abendessen ein wenig Ruhe zu gönnen, als starker Currygeruch zu ihr heraufgetragen wurde. Normalerweise hätte sie jetzt aus Ärgerüber Sanja den Kopf geschüttelt, doch dazu war sie zu sehr in Gedanken versunken: Sie dachte über Jack nach, den sie die ganze Woche über fast nicht gesehen hatte. Er war die meiste Zeit über bei Ethan an der Hütte gewesen und hatte ihm geholfen, die Kamele zu pflegen. Ethan hatte ihr erzählt, dass er vor allem die jungen Kamele sehr mochte. Das freute sie einerseits, doch war sie andererseits auch enttäuscht darüber, dass ihr Verhältnis zu dem Jungen sich um nichts gebessert hatte. Sie hatte auch feststellen müssen, dass Jack, wenn Ethan nicht da war und er demzufolge nicht bei den Kamelen sein durfte, absichtlich Unfug anstellte.
Einige Tage zuvor hatte er im Busch Feuer gemacht, das die Aborigines zum Glück entdeckt und gelöscht hatten, bevor es ernsthaften Schaden hatte anrichten können. Victoria hatte mit ihm gesprochen und ihm klar zu machen versucht, was für schreckliche Folgen ein Buschbrand haben konnte. Am folgenden Tag war Tara fast das Herz stehen geblieben, als sie ihn auf dem Dach des Wohnhauses entdeckte. Er war vom Balkon aus in den Baum geklettert und von dort aus weiter aufs Dach. Tara wagte sich gar nicht vorzustellen, was geschehen wäre, wenn Hannah es ihm nachzumachen versucht hätte, wie sie es oft tat. Als Ethan von der Gundawindie-Farm zurückkehrte, wo er für Tadd einen reparierten Viehtreibersattel abgeholt hatte, erzählte sie ihm voller Sorge von den Vorkommnissen. Er handelte sofort, indem er den Ast, der dem Haus am nächsten war, einfach absägte und es Jack so unmöglich machte, vom Balkon aus nochmal auf den Baum zu steigen. Danach unterhielt er sich sehr lange mit Jack. Trotzdem schien Jack zu glauben, das Absägen des Astes sei Taras Idee gewesen und reiner Bosheit entsprungen, und er verhielt sich ihr gegenüber noch ablehnender.
Tara stand auf und streckte sich. Die Sonne ging langsam unter und tauchte den Himmel in ein intensives Farbspiel aus warmen Rottönen. Eine sanfte Brise strich durch die Blätter derEukalyptusbäume, durch die mattes Sonnenlicht auf den schattigen Boden fiel. Zum ersten Mal empfand Tara etwas von dem Frieden, der über dem Ort lag, und dachte gerade darüber nach, als eine Bewegung unten vor dem Haus ihre Aufmerksamkeit erregte. Victoria ging dort mit Hannah spazieren. Tara beobachtete, wie ihre Tante stehen blieb und in die Bäume deutete, wo die Kookaburras und Elstern saßen. Tara lächelte über das schöne Bild, das sich ihr bot. Jetzt hockte sich Victoria neben Hannah und pfiff, wie sie es immer tat, um die Hunde zu rufen. Das wunderte Tara, denn sie wusste, dass die Hunde in ihren Zwingern hinter dem Haus eingesperrt waren.
Etwa zehn Meter von der Stelle entfernt, an der ihre Tante und Hannah standen, nahm Tara
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