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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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in ihr eigenes Schlafzimmer. In dem Augenblick, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, brach sie in Tränen aus. Als habe sich eine Schleuse geöffnet, strömten mit den Tränen all ihre unterdrückten Empfindungen aus ihr hervor, Schmerz, Trauer, Enttäuschung, Wut und das Gefühl eines tragischen Verlusts.
    Nun, da ihr Vater nicht mehr lebte, konnte Tara ehrlich zugeben, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Und dass sie immer die stille Hoffnung gehegt hatte, ihn eines Tages wiederzusehen. Jetzt war diese Hoffnung für immer dahin, und dass ihr Vater sein Handeln tatsächlich bereut hatte, ließ ihren Schmerz nur noch tiefer werden.
    Nachdem sie eine ganze Stunde geweint hatte, fühlte Tara in ihrem Innern nur noch Leere – doch sie war zu einer Entscheidung gelangt. Die Vergangenheit sollte mit ihrem Vater begraben sein, auch wenn Bitterkeit ihr das Verzeihen unmöglich machte. Um der Kinder willen musste sie in die Zukunft blicken und weitergehen ...
    Nachdem sie ihre Tränen getrocknet hatte, ging Tara zu Hannahs Zimmer zurück. An der offen stehenden Tür vorbei sah sie, dass die Kleine eingeschlafen war, doch Jack saß noch immer neben ihr auf dem Bett, den Rücken durch Kissen gestützt. Er schien in Träumereien versunken und starrte durch die geöffneten Balkontüren nach draußen. Der verlorene Ausdruck in seinem Gesicht ließ tiefes Mitgefühl in Tara aufsteigen. Sie nahm an,dass er an seine Eltern dachte, und zum ersten Mal konnte sie seinen Schmerz völlig nachempfinden.
    Tara setzte sich ans Fußende des Bettes, und er wandte den Kopf, um sie anzusehen. Er sah sofort, dass sie geweint hatte, und fragte sich, ob sie mit ihrer Mutter in Streit geraten war. Trotz seiner Jugend hatte er die Spannung zwischen ihnen gespürt.
    »Hannah ist also eingeschlafen«, sagte sie leise.
    Jack nickte. Tara fiel auf, wie sehr seine Augen denen seines Vaters glichen. Sie waren so blau wie Kornblumen, und in ihrem meist freundlichen Blick stand mehr Klugheit und Erfahrung, als sein Alter erwarten ließ.
    »Meine Mutter bleibt für eine Weile hier, mindestens bis Weihnachten«, sagte Tara.
    »Warum magst du sie nicht?«, wollte Jack wissen, und seine direkte Frage traf sie gänzlich unvorbereitet. »Wir haben eine sehr ... komplizierte Beziehung zueinander«, erwiderte sie, ratlos, wie sie die jahrelange Bitterkeit und deren Ursache erklären sollte. »Sie glaubt, wenn wir viel Zeit miteinander verbringen, verstehen wir uns wieder besser, aber ich bin da nicht so sicher.« Ihr Vater hatte sie verstanden, ihre Mutter dagegen hatte zu große Nähe zwischen ihnen immer abgelehnt. Wie konnte Elsa nun erwarten, seinen Platz in Taras Herzen einzunehmen?
    Jack wandte den Blick nicht von ihr. Sie sah ihm an, dass er neugierig war, und wollte so ehrlich wie möglich zu ihm sein. Seit sie vom Tod ihres Vaters erfahren hatte, wusste sie, dass sie nur dann eine enge Beziehung zu Jack und Hannah aufbauen konnte, wenn sie absolut offen und ehrlich zu ihm war – und das wünschte sie sich mehr, als sie es jemals für möglich gehalten hätte.
    »Du hast geweint!«, stellte Jack fest, und Tara nickte. »Meine Mutter hat mir gerade gesagt, dass mein Vater vor ein paar Monaten gestorben ist. Es war ein ziemlicher Schock für mich.« Schon wieder den Tränen nahe, wandte sich Tara einen Augenblick ab.
    »Hast du dich mit deinem Vater gut verstanden?«, fragte Jack.
    »Wir waren einander sehr nahe, als ich noch jünger war. Aberdann ist vor ein paar Jahren ... etwas geschehen, das mich auf meine Mutter und meinen Vater sehr wütend gemacht hat.«
    »Was war es denn?«
    Tara zögerte. »Ich denke, du bist noch ein wenig zu jung, um es zu verstehen, Jack, aber vielleicht eines Tages ...«
    Fast sofort spürte sie, wie er sich wieder vor ihr verschloss. Die Neugier und Lebhaftigkeit, die eben noch in seinen Augen gestanden hatten, erloschen wie eine Flamme im Wind. Das feine Band, das sich gerade zwischen ihnen entsponnen hatte, war durch ihren Mangel an Einfühlsamkeit gleich wieder zerrissen. Tara spürte, dass er ihre Offenheit brauchte, um sich selbst öffnen zu können. Er hatte ihr klar genug zu verstehen gegeben, dass er es hasste, wie ein Kind behandelt zu werden. Genau das hatte sie aber gerade getan, obwohl sie wusste, dass er etwas anderes verdiente, nach allem, was er durchgemacht hatte. Und wenn sie überhaupt jemals eine gute Beziehung zueinander haben wollten, dann musste es etwas anderes sein als das, was ihn mit seinen

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