Der Ruf des Abendvogels Roman
erwiderte sie kalt, entschlossen, ihn ebenso tief zu verletzen, wie er sie verletzt hatte.
Er zuckte ein wenig zusammen, als habe sie ihn geschlagen, und aus seinen markanten Zügen wich alle Farbe. »Tara, haben Sie doch ein Herz! Wenn Sie mir nicht verzeihen können, dann wenigstens Ihrer Mutter!«
Seine Sorge um Elsa rührte Tara, doch ihr Zorn auf ihn wurde dadurch nicht geringer. »Was zwischen meiner Mutter und mirgeschieht, geht nur sie und mich etwas an, Riordan, und braucht Sie nicht zu kümmern.«
Jetzt wirkte er sehr schuldbewusst. »Sie haben natürlich Recht, Tara.« Wieder verstummte er für einen Moment, um dann hinzuzufügen: »Es gibt trotzdem etwas, das ich Ihnen gern sagen würde. Nachdem Sie mich angehört haben, werde ich gern abreisen, wenn Sie das wünschen.«
»Mich interessiert wirklich nichts von dem, was Sie zu sagen haben.« Tara wandte ihm den Rücken zu.
Nach kurzem Zögern erklärte Riordan: »Ich bin den ganzen Weg hierher gekommen, um Sie zu sehen, und deshalb sage ich ihnen jetzt einfach, was ich auf dem Herzen habe.«
Tara blieb stumm. Sie wäre gern einfach weggegangen, beschloss jedoch, ihm zuzuhören, weil er gesagt hatte, er werde danach abreisen, wenn sie es wünschte – und das konnte er nicht früh genug tun, wenn es nach ihr ging.
Riordan trat neben sie an die Brüstung und starrte hinaus über die Ebene, die seit dem Regen einen zartgrünen Ton angenommen hatte. Tara blickte aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber, doch er schwieg, und sie fragte sich, ob er vielleicht seine Meinung geändert hatte. Doch gerade als sie gehen wollte, begann er zu sprechen.
»Als Ihre Tante mir Ihr Bild schickte, fand ich, dass Sie die schönste Frau waren, die ich je gesehen hatte.« Verlegen blickte er Tara an, doch diese wandte den Kopf ab.
Wenn er glaubte, sie durch Schmeicheleien umstimmen zu können, hatte er sich geirrt!
Riordan starrte wieder in die karge Buschlandschaft Australiens hinaus. Während er die flimmernde Luft über dem Horizont betrachtete, wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit zurück, nach Irland, in eine Zeit, als er ›Tara, der Zigeunerin‹ hoffnungslos verfallen gewesen war. Noch einmal meinte er, dieselbe Besessenheit und die Qual der unerwiderten Liebe zu spüren, und derselbe Schmerz wie damals erfüllte ihn.
»Du warst noch nicht einmal ganz erwachsen«, flüsterte er, zum vertraulichen Du übergehend, »jung, verletzlich und doch die sinnlichste Frau, die ich je gesehen hatte.« Eine unwiderstehliche Kombination, dachte Riordan. »Trotzdem war in deinem Blick irgendetwas ... Verlorenes. Ich bildete mir ein, du wartetest darauf, dass ich dich aus einem Leben befreite, in dem du ...« Er konnte nicht weitersprechen, denn es schmerzte ihn zu sehr.
Tara erschrak darüber, wie genau er ihren damaligen Gemütszustand erfasst hatte, denn als das Porträt entstanden war, hatte sie sich wirklich wie verloren gefühlt, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, zu denen sie nicht ganz gehörte. Bei den Zigeunern war sie nicht heimisch, konnte aber auch nicht nach Hause zurückgehen. Nicht einmal Garvie hatte geahnt, wie sie sich fühlte, Riordan dagegen hatte ein Blick auf ihr Porträt genügt.
»Natürlich war es nicht so«, meinte er, und sie unterließ es, ihn aufzuklären.
»Das weiß ich jetzt – aber ich glaubte fest daran, dass du mich brauchtest. Auch wenn es lächerlich klingt, ich war hoffnungslos in die Frau auf dem Bild verliebt.«
»Aber du kanntest mich doch gar nicht!«, erwiderte Tara ungläubig.
»Ich versuche dir ja auch gerade zu erklären, dass es dabei nicht um dich ging. Die Frau auf dem Bild existierte nur in meiner Fantasie.«
Tara runzelte verwirrt die Stirn, und Riordan bemühte sich verzweifelt, es ihr verständlich zu machen. »Auf dem Bild, das warst zwar du, aber die Frau, die ich sah, war eine ganz andere. Ich verliebte mich leidenschaftlich in jemanden, den es gar nicht gab. Meine Geschäfte und mein Privatleben litten darunter, doch ich lebte nur noch für meine Besessenheit. Ich kannte dich nicht, wie du wirklich warst, aber ich redete mir ein, dich zu kennen. Wie du weißt, hatte man mir gesagt, du seist entführt worden. Es quälte mich, dass die Frau, an die ich ständig dachte, die Frau auf demBild, gegen ihren Willen von den Zigeunern gefangen gehalten wurde. Ich redete mir ein, ich ließe sie im Stich, wenn ich sie nicht fand und rettete.«
Tara sah Riordan an, doch er blickte starr geradeaus. Auf seinen
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