Der Ruf des Abendvogels Roman
mitzuhelfen.
»Warum denn nicht? Es ist doch ihre Aufgabe als Verwalter, ein solch großes Unternehmen zu beaufsichtigen!« Tara wusste, dass Nugget auch schon versucht hatte, mit Tadd darüber zu sprechen. Tadd hatte nur mit den Schultern gezuckt, ihm gesagt, er solle weitermachen, und war gegangen. Tara war inzwischen misstrauisch bei allem, was er tat oder sagte. Warum er die Farm in Schulden gestürzt und Victorias Post unterschlagen hatte, wusste sie zwar noch immer nicht, aber es schien ihm gleichgültig zu sein, dass die Bank Tambora bald übernehmen würde.
»Wegen meines Rückens«, erwiderte er und verzog das Gesicht, als habe er Schmerzen. »Er macht mich manchmal verrückt, und im Moment ist es wieder ganz schlimm. Ich bleibe lieber hier und erledige, was um das Haus herum zu tun ist.«
»Wir können Tante Victoria nicht im Stich lassen, Tadd. Sie weiß nichts davon, dass William Crombie den Liefertermin vorverlegt hat. Uns bleiben nur zwei Wochen, um tausend Schafe zusammenzutreiben und zu scheren, wenn wir es schaffen wollen.«
»Ich verstehe, und ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen – aber es geht leider nicht.«
Tara war sicher, dass es ihm nicht im Mindesten Leid tat, und an seine Rückenschmerzen glaubte sie auch nicht. Wenn ihm wirklich etwas an Victoria gelegen wäre, hätte er mitgeholfen, ob er Schmerzen hatte oder nicht. Er hätte zumindest so viel Ehre imLeib haben können, ihnen zu helfen, Tamboras Schulden zu verringern – aber das schien nicht in seine Pläne zu passen.
Enttäuscht machten sich Tara und Riordan mit Nugget, Bluey, Charlie und Karl auf den Weg. Auch Jack hatte ihnen helfen wollen, aber Tara hatte darauf bestanden, dass er noch einen Tag im Bett blieb.
Elsa brachte Jack und Hannah ihr Frühstück und trug gerade das schmutzige Geschirr auf einem Tablett in die Küche zurück, als die Hintertür geöffnet wurde und ein Aborigines-Mädchen eintrat. Elsa starrte es überrascht an, doch das Mädchen schien ebenso überrascht wie sie, jemand Fremdes im Haus zu sehen.
»Wer Sie?«, fragte Nerida, als ihre Augen sich an das gedämpfte Licht im Flur gewöhnt hatten.
»Ich bin Elsa Killain«, erwiderte Elsa, »Taras Mutter. Und wer sind Sie?«
In diesem Augenblick kam Sanja aus der Küche, weil er ihre Stimmen gehört hatte. »Wo bist du gewesen, faules Mädchen?«, rief er vorwurfsvoll und drohte Nerida mit dem Finger. »Geh zurück in den Busch – Missus ist sehr böse auf dich!«
Plötzlich kam Elsa eine Ahnung, wer das Mädchen sein könnte. »Nerida?«, fragte sie, und die Kleine nickte mit Tränen in den Augen. Elsa sah in ihr die Rettung, was den anstehenden gründlichen Hausputz betraf. »Achten Sie nicht auf Sanja«, sagte sie, überreichte dem Koch das Tablett mit dem schmutzigen Geschirr und führte das Mädchen den Flur entlang. »Missus Victoria wird sehr froh sein, Sie zu sehen, und Tara ebenfalls.« Ich bin auch schrecklich erleichtert, dass du wieder da bist, dachte sie im Stillen. »Kommen Sie, wir gehen ins Wohnzimmer.« Dann führte sie die schüchterne Nerida in den hinteren Teil des Hauses, so weit wie möglich fort von Sanjas aufmerksamen Ohren und Blicken.
»Wo ist Missus Victoria?«, erkundigte sich das Mädchen mit einem Blick zum ersten Stock hinauf, als sie an der Treppe vorübergingen.
»Victoria ist nach Alice Springs gefahren, weil sie wegen einer Brille zum Arzt gehen muss, und Tara ist mit den Männern hinausgeritten, um Schafe zusammenzutreiben.«
Nerida sah sie verständnislos an.
»Ich bin hier geblieben, um nach den Kindern zu sehen und ... das Haus zu putzen. Jetzt, wo Sie zurück sind, können Sie mir ja dabei helfen.« Sie waren im Wohnzimmer angekommen und setzten sich.
»Ja, Missus.« Nerida hielt den Blick schüchtern auf ihre ineinander verschränkten Hände gesenkt, was Elsa Gelegenheit gab, sie eingehend zu betrachten. Entsetzt stellte sie fest, dass das Aborigines-Mädchen nicht einmal Schuhe trug. Neridas Fußsohlen sahen aus wie sonnenverbranntes Leder, und zwischen ihren weit auseinander stehenden Zehen klebte roter Wüstenstaub. Sie trug ein loses Hängerkleid, das dringend gewaschen werden musste, und die Haare standen ihr wirr vom Kopf ab.
»Dieses Haus ist so groß, Nerida«, sagte Elsa. »Wie um Himmels willen ist es Ihnen gelungen, es ganz allein in Ordnung zu halten?«
»Ich tun, was ich kann, Missus, vor allem ich kümmern um Missus Victoria. Sie finden Haus nicht so wichtig.«
»Das sehe ich«,
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