Der Ruf des Abendvogels Roman
allem, was er getan hat, ungestraft davonkommt, aber ich will auch nicht, dass er mir Schwierigkeiten macht. Wahrscheinlich hat er ein Gespräch zwischen mir und meiner Tante mitbekommen ...«
»Ich habe eine Idee, Tara«, meinte Ethan nachdenklich. »Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, wie du den Männern helfen, Tadd aber trotzdem glauben machen könntest, du hättest die Farm verlassen und die Kinder mitgenommen.«
Gespannt blickte Tara ihn an. »Ich höre ...«
29
L ottie, ich bin es, Tara.« Es war elf Uhr abends, und Tara war fast sicher, dass niemand ihr Gespräch mithörte.
»Hallo, Tara. Ist alles in Ordnung?«
»Ich würde dich gern um einen Gefallen bitten, Lottie, und ich wollte sicher sein, dass die Angelegenheit unter uns bleibt.«
»Natürlich – was kann ich für dich tun?«
»Es geht um diese ›Besucher‹, die wir erwarten ...«
»Besucher? Ah, ja richtig ...«
»Sie werden bestimmt morgen mit dem Zug aus Alice Springs ankommen, und ich wollte dich bitten, mir über Funk Bescheid zu geben, wenn sie in der Stadt sind.«
»Natürlich, gern. Allzeit bereit, so sagt man doch, nicht wahr?«
»Genau. Vielen Dank, Lottie. Es kann sogar sein, dass sie mit demselben Zug ankommen wie Victoria.«
»Holt Ethan sie hier ab?«
»Nein. Er wollte Rex bitten, sie zur Farm zu bringen.«
»Rex ist gerade hier ...«
Das überraschte Tara. »Wirklich?«
»Ja – wir trinken oft spät abends noch eine Tasse Tee zusammen. Er schläft in der Hitze schlecht, und ich bin sowieso wach ...« Tara hörte das Lächeln in ihren Worten.
»Ethan ist hier bei mir«, sagte Tara und fühlte, wie sie errötete. »Könnte er kurz mit Rex sprechen? Dann braucht er später nicht noch einmal dort anzurufen.«
»Natürlich.«
»Danke, Lottie – und bitte verlier kein Wort über die andere Sache.«
»Ich verstehe!«
»Ich bin froh, dass nun alles arrangiert ist«, sagte Tara zu Ethan, als sie ihn später auf die Veranda begleitete. Sie war noch immer ein wenig verwundert darüber, dass Rex spät abends mit Lottie Tee trank, obwohl Lottie ganz sicher für jeden eine angenehme Gesellschaft war. »Es ist nett, dass du uns beim Zusammentreiben der Schafe helfen willst!«
Ethan lächelte. »Saladin kann sich durchaus für ein paar Tage allein um die Kamele kümmern und die nötigen Lieferungen erledigen. Übrigens ist Riordan Magee ja immer noch hier.«
»Ja – er hat uns bei der Musterung geholfen.«
Ethan wirkte einigermaßen verwundert. »Ich kann ihn mir ehrlich gesagt nicht so recht als Viehtreiber vorstellen. Macht er sich dabei nicht seinen hellen Anzug schmutzig?«
Tara sah seine weißen Zähne in der Dunkelheit blitzen und wusste, dass er sich über Riordan lustig machte. Merkwürdigerweise hatte sie das Gefühl, Riordan verteidigen zu müssen.
»Im Grunde weiß keiner von uns beiden genau, was wir tun, Ethan, aber wir sind mit Feuereifer dabei. Riordan hat es sogar viel Spaß gemacht, bis er sich heute am Knöchel verletzt hat. Jacks Pferd ist mit seinem zusammengestoßen. Übrigens wirkte Jack tatsächlich in den letzten Tagen sehr bedrückt – jetzt wissen wir, warum.«
Einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen. Tara hatte das Gefühl, als ob Ethan etwas Persönliches auf dem Herzen habe. Und wirklich meinte er gleich darauf: »Du scheinst deine Meinung über Riordan gründlich geändert zu haben.«
Etwas in seinem Ton machte Tara verlegen. »Wir haben einige unserer Differenzen begraben und beschlossen, einen neuen Anfang zu machen. Außerdem brauchen Nugget und die Jungen Hilfe, wenn wir den Liefertermin für die Wolle einhaltenwollen. Ich finde es gut, dass Riordan uns so tatkräftig unterstützt.«
Tara blickte zu Ethan auf, doch sie konnte in der Dunkelheit den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen.
Er überlegte, welcher Art ihre ›Differenzen‹ mit Riordan wohl gewesen sein mochten, und beschloss, sie näher zu beobachten. Er wollte herausfinden, ob sie einander einmal etwas bedeutet hatten. Dass er so neugierig war, überraschte ihn selber, doch andererseits erstaunten ihn sehr viele der Gefühle, die er Tara entgegenbrachte.
»Du hast Recht«, sagte er, »und Victoria wird seine Hilfe sicher zu schätzen wissen. Ich schlafe heute Nacht im Arbeiterhaus – wir sehen uns morgen früh. Gute Nacht, Tara.«
Ethan wandte sich um und ging davon. Tara blieb ein wenig verwirrt zurück. Während sie ihm nachsah, überlegte sie, ob er vielleicht eifersüchtig auf Riordan sein konnte. Aber
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