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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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allen eine erfolgreiche Zeit oder tiefe Armut bevorstand. Sie wusste, dass Tara und Victoria auf sie zählten.
    Als Rex schließlich den Wagen mit einer halben Stunde Verspätung inmitten einer Staubwolke vor dem Haus anhielt, saß Elsa zurückgelehnt in einem Stuhl auf der Terrasse und bot ein Bild völliger Entspannung – was man von den Passagieren, die gleich darauf dem altersschwachen Vehikel entstiegen, nicht behaupten konnte. Rex fuhr sofort wieder los, um die Post zu den Nachbarfarmen zu bringen, und rief Elsa zu, er sei um die Mittagszeit zurück. Ihr fiel auf, dass er immer zu den Mahlzeiten auftauchte, was ihrer Meinung nach kein Zufall sein konnte.
    Herbert Quinlan und Mrs. Blythe Horton schienen einen Augenblick halb benommen, als sie über die weite Ebene blickten, während sich die Staubwolke des sich entfernenden Wagens langsam auf ihnen niederließ. Elsa hörte die Frau abfällig sagen, dass sie sich buchstäblich am Ende der Welt befänden und die Rückfahrt sicher ebenso schrecklich sein würde wie die Hinfahrt, vermutlich sogar noch schlimmer, falls sie wieder eine Reifenpanne haben sollten. Als sie sich dann umdrehten, um das Haus zu betrachten, spiegelte sich in ihren Mienen große Überraschung.
    »Was für ein eindrucksvolles Heim«, hörte Elsa den Mann sagen. »Es wirkt zwar hier draußen etwas unangebracht, aber ich wünschte, wir wären schon gestern Abend herausgekommen. Das Hotel in der Stadt war eines der schlechtesten, in denen ich je gewohnt habe. Ich weiß nicht, was abstoßender war: das Essen oder dieser betrunkene, verrückte Ferris Dunmore ... Ich kann es gar nicht erwarten, bis ich nach Hause fahren darf.«
    Elsa hatte das Gefühl, die Dinge nähmen von Anfang an eine schlechte Wendung. Sie stand auf und rief den Besuchern fröhlich zu: »Guten Morgen! Willkommen in Tambora! Treten Sie doch ein – die Sonne sticht heute förmlich!« Und auch sonst an jedem verdammten Tag, fügte sie in Gedanken hinzu, als sie spürte, wie ihr kleine Schweißtropfen zwischen den Brüsten hinunterliefen.
    »Oh«, meinte Blythe mild erschrocken und strich den Rock ihres matronenhaft geschnittenen Kleides glatt. »Bitte verzeihen Sie, wir haben Sie gar nicht gesehen. Wir ... bewundern gerade Ihr schönes Haus.«
    »Danke«, erwiderte Elsa lächelnd. »Ich bin Elsa Killain, Victoria Milburns Schwägerin. Victoria ist leider noch nicht aus Alice Springs zurück, und deshalb werden Sie mit mir als Fremdenführerin vorlieb nehmen müssen.«
    »Ich bin Blythe Horton, und das hier ist Herbert Quinlan«, sagte Blythe. »Wie Sie wahrscheinlich schon wissen, kommen wir von der Abteilung für Kinder- und Jugendhilfe.«
    »Ja – kommen Sie bitte herein. Victoria sagte mir, dass Sie kommen würden, aber ich hatte Sie nicht so bald erwartet.«
    »Normalerweise bereisen wir die ländlichen Gegenden auch kaum«, erwiderte Blythe. »Aber wir hatten ohnehin in Alice etwas Geschäftliches zu erledigen.«
    Es war leicht zu erkennen, das Herbert Quinlan gewöhnlich ein Ausbund an Ordnung und Sauberkeit war. Doch zweieinhalb Stunden in Rex’ Wagen, über eine unebene Piste und einige Sanddünen, hatten sein Erscheinungsbild vollständig gewandelt. Er war ein großer, schlanker Mann Ende Fünfzig mit einer Brille und dünnen, grauen Haaren. Er trug eine Hose mit Nadelstreifen, die von Hosenträgern gehalten wurde, und ein Hemd, das eine Stunde zuvor mit Sicherheit noch strahlend weiß und makellos gewesen war. Jetzt starrte es vor Schmutz und Flecken vom Gummi des Reifens, den er auf Rex’ Zureden hin gewechselt hatte. Seine Fliege saß schief, und Elsa vermutete, dass Mrs. Horton sie sicher gern geradegerückt hätte.
    Trotz ihrer Körperfülle war Blythes Gesicht sehr schmal, und ihre Miene wirkte so verkniffen, dass sie auch dem mutigsten Kind nackte Angst einjagen musste. Als sie Elsas gepflegte Erscheinung bemerkte, versuchte sie verlegen, einige ihrer braunen Strähnen zur Rückkehr in die ehemals tadellose Frisur zu veranlassen.
    Elsas erste Wahrnehmung von Blythe waren Beine, die wie Stöcke aus einem kartoffelförmigen Körper ragten, und Arme, die geeignet schienen, jedem anständigen Seemann beim Armdrücken einen harten Kampf zu liefern.
    Wie es nur Frauen vermochten, nahm Blythe ihrerseits mit einem einzigen Blick Elsas äußeres Erscheinungsbild in sich auf und registrierte dabei erstaunlich viele Details: Elsas blumengemustertes Kleid mit weißem Kragen und Manschetten, die Spitzenhandschuhe und die

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