Der Ruf des Abendvogels Roman
hast, ziehe ich mich jetzt zurück.«
»Tu das ruhig, Tadd – gute Nacht.«
»Es ist gut, dich wieder hier zu haben, Mädchen – und ich binfroh, dass wir über alles gesprochen haben.« Tadd stand auf und verließ nach einem triumphierenden Blick in Taras Richtung den Raum.
Tara hörte ihre Tante sagen: »Armer Tadd!«, und schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatte gehofft, Victoria werde ihn entlassen, doch offensichtlich konnte er in ihren Augen nichts Unrechtes tun.
»Deine Mutter sah so niedergeschlagen aus, Tara – ich finde, wir sollten eine Party geben, um die Geburt von Ferris’ und Charitys Baby zu feiern. Das würde Elsa sicher aufmuntern, und außerdem trinkt jeder gern auf ein freudiges Ereignis – leider werden hier nicht allzu viele Babys geboren!«
Tara wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte mit Tadds Entlassung und einem eher unerfreulichen Abend gerechnet, und nun würden sie stattdessen eine Party feiern – es war einfach zu viel für sie.
Elsa kam herein und hörte Victorias letzte Worte. »Sagtest du, wir geben eine Party?« Der Gedanke an eine Gesellschaft in einem solch großartigen Haus gefiel ihr.
»Ja. Ich finde, es ist Zeit, dass wir hier draußen ein bisschen Spaß haben. Sorgen haben wir uns für den Rest unseres Lebens genug gemacht. Außerdem würde eine Party Sorrel Gelegenheit geben, die Outback-Nachbarschaft kennen zu lernen.«
Elsas Miene hellte sich schlagartig auf. »Oh, wie wundervoll, Victoria.«
»Ich setze mich gleich morgen früh ans Funkgerät und lade die Leute ein«, meinte Victoria.
»Es ist übrigens noch ein Baby auf dem Weg«, sagte Tara, die fand, dieser Zeitpunkt sei so gut wie jeder andere, um Victoria die Neuigkeit mitzuteilen. Victoria sah sie erstaunt an. »Oh! Und wer erwartet es?«
»Nerida«, erklärte Tara.«
»Deshalb hat sie sich auch nicht gut gefühlt«, ergänzte Elsa.
»Himmel – da fährt man für ein paar Tage weg und dann ... Wer ist denn der Vater?«
»Das wissen wir nicht, und sie will es nicht sagen. Sie hat furchtbare Angst, dass du sie fortschickst; deshalb versteckt sie sich auch.«
»Ja, ich habe mich schon gefragt, wo sie ist. Was für ein Unsinn! Nerida gehört zur Familie, und ich liebe sie sehr. Ich würde sie nie fortschicken.«
»Ich glaube, sie wird sehr erleichtert sein, wenn sie das hört!«, sagte Tara lächelnd.
»Gott sei Dank habe ich jetzt eine Brille«, meinte Victoria. »Vielleicht sehe ich jetzt, was genau unter meinen Augen vor sich geht!«
Wie sie es sich vorgenommen hatte, saß Victoria am folgenden Morgen schon früh am Funkgerät. Gegen Mittag hatte sich die Nachricht wie ein Buschfeuer verbreitet: Victoria gab eine ihrer berühmten Partys auf Tambora, und alle wollten kommen, denn die Siedler sprachen noch immer gern von den prunkvollen Gesellschaften vergangener Zeiten.
Spät an diesem Abend riefen Victoria und Tara auch Lottie und die Mädchen an, um sie ebenfalls einzuladen. Es war ehrlich gemeint, und Lottie schien sehr gerührt, doch es überraschte weder Tara noch Victoria, als sie absagte.
»Habt vielen Dank für die Einladung«, sagte Lottie, und sie hörten die Rührung in ihrer Stimme. »Ihr wisst gar nicht, was das für mich bedeutet.«
»Danke für alles, was du schon für uns getan hast«, gab Tara zurück. »Du bist uns eine sehr gute Freundin, und wir werden immer in deiner Schuld stehen.«
Lottie hatte kaum ›Ende‹ gesagt, das schluchzte sie schon auf.
Am nächsten Morgen kam mit dem Zug aus Adelaide ein Paket an, das an Victoria adressiert war. Tadd befand sich gerade in Wombat Creek, um Einkäufe zu machen. Vorher war er mitEthan bei der Bank in Leigh Creek gewesen, und jetzt war er in sehr düsterer Stimmung. Es hatte ihn all seine Opale gekostet, die Schulden samt Zinsen zurückzuzahlen, und er hatte einige sehr schöne Stücke dabeigehabt. Seine ganze Arbeit war umsonst gewesen – so sah er es wenigstens. Aber wenn er geleugnet hätte, die Opale zu besitzen, hätte Ethan sie gefunden und sie Victoria ausgehändigt, denn nach dem Gesetz gehörten sie ihr. Wenn nur Jack nicht in den Minenschacht gefallen wäre, dann wäre dieser nie entdeckt worden! Er verfluchte den Tag, an dem Tara und die Kinder nach Tambora gekommen waren.
Tadds ursprünglicher Plan war gewesen, Victoria mithilfe der Opale die Farm abzukaufen, sobald sie völlig heruntergewirtschaftet war. Dann hatte Victoria ihm eines Tages mitgeteilt, sie habe ihn in ihrem Testament als Erben der Farm
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