Der Ruf des Abendvogels Roman
eingesetzt, sodass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre ... und in der Zwischenzeit konnte er Tambora wie sein Eigentum behandeln. Doch irgendwann war Tara aufgetaucht, und durch Zufall hatte er bei der Suche nach Victorias Rücklagen ihren letzten Willen gefunden und festgestellt, dass sie ihre Verfügung geändert hatte: Nun würde Tara die Farm erben.
»Vielleicht sollte ich Victoria heiraten«, überlegte Tadd nicht zum ersten Mal. Dann würde Tambora mir gehören, und Tara könnte nichts dagegen tun. Er hatte Victoria nach Toms Tod einen Antrag gemacht, doch sie hatte gesagt, es sei noch zu früh, an eine Heirat mit jemand anderem zu denken. Doch jetzt würde sie vielleicht ernsthaft darüber nachdenken!
»Jemand aus Irland hat Victoria ein Gemälde geschickt«, erzählte Percy, als Tadd in den Laden kam. Tadd brummte nur ungnädig vor sich hin.
»Ich weiß, dass es sich um ein Gemälde handelt, weil das Packpapier an einer Ecke eingerissen ist.«
Tadd hörte nicht hin. Er war damit beschäftigt, Vorräte aus den nicht eben gut bestückten Regalen zu nehmen.
»Ob es wohl wertvoll ist? Es kommt von einer Galerie.« Als Percy das Paket hochheben wollte, blieb die schon aufgerissene Stelle des Packpapiers an der Ecke des Tresens hängen, und riss noch weiter auf. »Oh, verdammt!«, entfuhr es Percy und er drehte das Gemälde um. »Schau nur, was ich jetzt wieder angestellt habe.«
Dann starrte er ungläubig auf das Gesicht, das ihm aus dem Bild entgegenblickte. »Das kann doch nicht ...«, stammelte er. »Mein Gott, das ist doch ... Tara!«
Tadd wandte sich von dem Regal ab und kam zum Tresen herüber. »Wo ist Tara?«, fragte er und stellte die Konservenbüchsen ab. Dann riss er auch den Rest des Packpapiers von dem Bild herunter, sah sich das Porträt an, und seine Miene hellte sich schlagartig auf. »Wie wäre es mit einem Drink in der Bar, Percy? Ich lade dich ein!«
Als Tadd mit dem Bild auf der Farm ankam, hatte sein Gang etwas Federndes. Er fand Victoria im Wohnzimmer, wo sie sich mit Tara unterhielt, und konnte vor Aufregung kaum an sich halten.
»Ich habe mit den Scherern gesprochen, und sie haben versprochen, morgen in aller Frühe hier zu sein«, sagte Victoria gerade zu ihrer Nichte. »Damit dürfte alles klappen – zu fünft brauchen sie für tausend Schafe höchstens zwei Tage, und wenn Wally Sherbourne kommt, sogar noch weniger. Also werden wir keine Schwierigkeiten haben, den Termin einzuhalten.« Victoria blickte auf und sah Tadd an der Tür stehen.
»Oh, Tadd – du bist schon zurück. Hast du die zusätzlichen Vorräte bekommen, die ich bestellt hatte?« Mithilfe der Brille hatte sie keine Schwierigkeiten zu erkennen, dass Tadd betrunken war. Seine Augen glänzten, und auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln. Sie glaubte, er habe wahrscheinlich die Rückzahlung der Schulden gefeiert.
»Ja, aber du wirst sie nicht mehr brauchen«, sagte er jetzt.
»Was in aller Welt willst du damit sagen?«
»N...niemand kommt zu eurer Party!«
Wenn Tara sich nicht irrte, klang keinerlei Sympathie oder Mitgefühl für Victoria aus seinen Worten. Sie fragte sich, was er jetzt wieder vorhaben mochte.
»Wovon sprichst du, Tadd? Alle, die ich angerufen habe, haben die Einladung mit Freuden angenommen.«
»Dann haben sie eben ihre Meinung geändert!«
»Und warum sollten sie das tun?«
»Wegen der Zigeunerin!« Tadd starrte Tara höhnisch an, aus deren Zügen alle Farbe gewichen war.
»Das hier«, er griff nach dem Bild, das er vor der Tür abgestellt hatte, »kam heute mit der Post aus Adelaide.« Er drehte das Porträt um und hielt es hoch. »Percy lässt ausrichten, es tut ihm Leid, dass das Papier am Ladentresen hängen geblieben ist.«
Es war das Bild, das Tara an die Harcourt Gallery verkauft hatte, bevor sie Irland verlassen hatte. Sie war immer der Meinung gewesen, dass es eins von Garvies besten gewesen war, aber in diesem Augenblick hätte sie alles dafür gegeben, es nicht sehen zu müssen. Auf dem Bild tanzte sie um ein Lagerfeuer, den Rücken gebogen und den Kopf stolz nach hinten geworfen. Ihre gerafften Röcke entblößten ihre wohlgeformten Beine. Der Feuerschein umschmeichelte ihre vollen Brüste und verlieh ihrer goldenen Haut einen seidigen Schimmer. Ihr Mund war leicht geöffnet, ihre vollen Lippen ein wenig feucht, und ihre smaragdgrünen Augen halb geschlossen. Das Licht des Feuers ließ ihre roten Haare wie poliertes Kupfer aufleuchten, und sie wirkte ungeheuer
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