Der Ruf des Abendvogels Roman
Klatschweiber sprachen über ihre Tochter – und das rief all ihre mütterlichen Beschützerinstinkte wach, auch wenn Tara schon eine erwachsene Frau war.
»Wie konnte Victoria nur eine Zigeunerin hier bei sich aufnehmen ... Ich verstehe es nicht ... Gott sei Dank muss Tom das nicht mehr erleben. Er hatte Niveau ...«
Victoria erkannte die Stimmen von Eva und Clara Vine, einem ledigen Schwesternpaar, dessen einziger Lebenssinn in der Verbreitung von Klatschgeschichten bestand. Sie wohnten über hundert Meilen weit entfernt und kamen nur unregelmäßig in die Stadt, verbrachten dafür aber Stunden am Funkgerät und hatten schon mehr als einen guten Ruf auf dem Gewissen.
»Ich verstehe es auch nicht. Kein anständiger Mensch würde so etwas tun ... Aber ich habe gehört, dass Victoria in letzter Zeit etwas seltsam sein soll. Vielleicht färbt ja das Zigeunerhafte auf sie ab ...«
Tara legte ihrer Tante tröstend einen Arm um die Schulter, und Victoria drückte ihre Hand, um ihr zu sagen, dass sie ihr keinerlei Vorwürfe machte.
»Wahrscheinlich wollte uns diese Tara auf der Party unsere Zukunft vorhersagen« , schwatzten die Frauen weiter.
»Das würde ich jetzt nur zu gern tun«, flüsterte Tara, und Victoria zwinkerte ihr zu.
»Aber sicher nur gegen Bezahlung ...«
»Ob sie wohl eine Kristallkugel hat?«
»Und Froschbeine und Spinnen kocht?«
Plötzlich konnte Elsa es nicht länger ertragen. »So, und jetzt hört mir einmal gut zu, ihr elenden Klatschmäuler. In Tara Killains Adern fließt edleres Blut, als ihr es jemals haben werdet.«
»Wer spricht dort?«, fragte Eva hochmütig.
»Elsa Killain; Taras Mutter .«
Die meisten der Frauen schwiegen betreten. Doch eine von ihnen, Mildred Gowers, gab bissig zurück: »Wie können Sie es wagen, so mit uns zu reden? Wir sind gute Frauen, aus guten Familien. Mein Mann hat dieses Land erschlossen ...«
»Und mein Mann war ein Gentleman und Mitglied des britischen Landadels. Meine Großmutter väterlicherseits war die Schwester des Grafen von Bradford, aber ich bin genauso stolz auf meine Mutter und deren Mutter, beides Zigeunerinnen feinsten Geblüts, und auf meine Tochter. Für mich sindMenschen, die klatschen und sich den Mund über andere zerreißen, nicht besser als ein Wurf Mischlingshunde. Meine Tochter ist schön, liebenswert, selbstlos und nobel. Wie viele von Ihnen können das über Ihre Töchter sagen? Wenn ich eine von Ihnen auch nur noch eine böse Bemerkung über meine Tara machen höre, komme ich höchstpersönlich zu Ihnen hinaus und schneide Ihnen die Zunge mit einem stumpfen Messer heraus. Und jetzt sehen Sie zu, dass Sie etwas Sinnvolles tun, putzen Sie Ihre Häuser und kümmern Sie sich um Ihre Männer und Kinder!«
Im Äther herrschte tiefe Stille; dann drehte Elsa das Gerät mit einer fast gewaltsamen Bewegung ab, sodass die Frauen keine Gelegenheit zu einer Antwort hatten, wenn sie die Sprache wieder fanden.
Victoria und Tara sahen sich erstaunt an und klatschten dann beide laut Beifall. Elsa wandte sich überrascht um und tat einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen.
»Oh Mutter«, sagte Tara bewegt, »du hast es ihnen wirklich gezeigt!« Tara wusste, wie viel Überwindung es ihre Mutter gekostet haben musste zuzugeben, dass sie Zigeunerblut in den Adern hatte. Sie ging neben Elsa in die Knie und umarmte sie. »Ich liebe dich!«
Elsa hatte ihre Tochter wieder, und das genügte, um sie glücklich zu machen.
»Gut gemacht, Elsa«, meinte Victoria. »Die Vine-Schwestern haben es wirklich verdient – aber so viel Mut hätte ich dir gar nicht zugetraut!«
Elsa schüttelte den Kopf und wischte sich die Tränen ab. »Ich mir auch nicht. Ich bin jedenfalls froh, dass diese Frauen nicht zu unserer Party kommen. Ich möchte sie hier nicht haben.«
»Wir brauchen sie doch auch nicht, um eine Party zu feiern, oder?«
»Du hast Recht, Victoria, wir brauchen niemanden. Wir veranstalten eine Party für uns allein und feiern, dass wir ... alle hierbeisammen sind. Wir können tun, was wir wollen, sogar nackt Walzer tanzen – wer sollte daran Anstoß nehmen?«
»Oh Himmel«, rief Victoria lachend, »dann hätten sie wirklich etwas zu klatschen!«
»Tara, deine Tante hat mir von deiner Idee erzählt, die Kinder rechtmäßig zu adoptieren. Es tut mir Leid, dass Marcus euch nicht helfen konnte, aber die Sache ist wirklich sehr kompliziert.« Sorrel hatte im Esszimmer gesessen und eine Tasse Tee getrunken, als Tara hereinkam. Sie las eine sieben
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