Der Ruf des Abendvogels Roman
Tara, immer in Bewegung. Du wünschst dir doch sicher nicht schon wieder so ein Leben?«
»Nein, natürlich nicht ...«
»Wir könnten es zusammen so schön haben, Tara, ein hübsches Heim ... sogar Kinder, wenn es das ist, was du dir wünschst.«
Tara fiel ein, dass er ihrer Tante gegenüber erwähnt hatte, Kinder nicht sonderlich zu mögen.
Riordan sah ihr an, dass sie hin und her gerissen war.
»Ich fahre in ein paar Stunden, Tara. Komm doch mit!«
»Ich muss auch an Jack und Hannah denken, Riordan. Sie sind meine Familie.«
»Du weißt aber doch, dass eigentlich andere für sie verantwortlich sind, nicht wahr? Du solltest eigene Kinder haben!«
Tara wich zurück. Ihr war plötzlich klar geworden, dass Riordan ihre Gefühle für Jack und Hannah niemals verstehen würde. Ethan dagegen verstand sie, wie er alles an ihr zu verstehen schien ...
»Ich kann nicht mit dir gehen, Riordan«, sagte sie und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umwandte, um ihn anzusehen. Er stand noch immer auf dem Balkon, mit dem Rücken zu ihr, doch sie sah, wie er litt. »Lebwohl, Riordan. Ich werde dich nie vergessen.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Tara?«
»Ja?«
»Wenn du jemals deine Meinung ändern solltest, weißt du, wo du mich findest.«
Tara zog leise die Tür hinter sich zu.
35
T ara wurde durch Geräusche im Erdgeschoss geweckt. Die Sonne stand schon hoch und brannte vom Himmel herab, was bedeutete, dass es schon Mittag sein musste. In den wenigen benommenen Augenblicken direkt nach dem Erwachen registrierte Taras Unterbewusstsein, dass Riordan schon lange fort war. Ein kleiner Teil von ihr würde seinen scharfen Verstand und seinen jungenhaften Charme vermissen, aber ihre Wege waren nicht dazu bestimmt, gemeinsam zu verlaufen.
Tara wusste, dass es für Riordan wichtig war, sich wieder unter die schillernden Charaktere des Geldadels und der Kunstszene zu mischen. Er lebte dafür, seltene Gemälde zu kaufen und zu verkaufen und Ausstellungen für unbekannte Talente auszurichten, die dadurch entdeckt wurden. Davon sprach er ständig – und das Einzige, was ihm in seiner fast perfekten Welt fehlte, war eine schöne Frau an seiner Seite. Das Schlimme war nur, dass er sich einzig Tara in dieser Rolle vorstellen konnte, während sie sich etwas ganz anderes wünschte: ein ruhiges Leben in einem gemütlichen Heim zusammen mit Jack und Hannah.
Als Tara etwas später über das Treppengeländer nach unten blickte, war die durch die Hitze und den Schlafmangel ausgelöste leichte Benommenheit augenblicklich verflogen. Die Eingangshalle war voller aufgeregter Kinder verschiedener Altersstufen und Größen. Die meisten waren sehr ärmlich gekleidet, ihre Haare waren ungekämmt, und sie trugen keine Schuhe. Die Kleinsten hatten von der Hitze gerötete Gesichter. Victoria stand ein wenig ratlos mitten unter ihnen.
Als sie die Treppe hinunterging, sah sie durch die offen stehende Haustür, dass Rex Crawley sehr große Eile zu haben schien, wieder in seinen Packard einzusteigen. Er überließ es Nugget, die Kartons mit den Essensrationen, die in einem chaotischen Haufen auf der Terrasse lagen, ordentlich aufeinander zu stapeln.
Victoria versuchte vergeblich, sich Gehör zu verschaffen, denn die Kinder hatten unzählige Fragen und schrien, um ihren eigenen Lärm zu übertönen.
»Wann können wir reiten gehen?«
»Gibt es hier irgendwelche Flüsse oder Staudämme, in denen man schwimmen kann?«
»Können wir die Lämmer und Kälber füttern?«
»Dürfen wir auf die Bäume klettern?«
»Ich habe Durst ...«
»Ich habe Hunger ...«
Tara stöhnte auf, während sie die letzten Stufen bis zum Erdgeschoss hinunterlief.
Plötzlich ertönte ein Gong, und sogleich senkte sich Stille über die Gruppe. Elsa und Sorrel standen neben der großen Metallscheibe direkt neben der Wohnzimmertür.
»Jetzt hört mir einmal zu, Kinder«, sagte Elsa ein wenig heiser vor Nervosität. »Ihr habt sicher alle Durst und seid müde von der langen Reise hierher. Aber es werden keine Getränke ausgegeben, solange ihr euch nicht ruhig und anständig benehmt. Ich bin Mrs. Killain, und das hier ist Mrs. Windspear. Eure Gastgeberinnen sind Mrs. Milburn und ihre Nichte, Mrs. Flynn.«
»Bitte nennt mich Tara«, sagte diese. Wenn man sie mit ›Mrs. Flynn‹ anredete, fühlte sie sich immer alt oder, was noch schlimmer war, wie eine Matrone.
»Das Hausmädchen heißt Nerida, und der Koch ist Sanja«, fuhr Elsa fort. »Es gibt noch mehr Angestellte auf
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