Der Ruf des Abendvogels Roman
Roti-Brot gemacht und eine große Menge Reis als Beilage zu dem, was er Eintopf nannte – eine etwas mildere Version eines Currygerichts.
Die Kinder aßen mit gutem Appetit, was den Koch wiederum sehr freute, und waren abends früh müde. Doch es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis sie alle im Bett lagen. Zu Victorias Überraschung erzählten Lottie und Belle einigen aus der Gruppe sogar Gutenachtgeschichten.
Das jüngste der Kinder teilte das Zimmer mit Hannah. Mary war zwar gerade fünf geworden, aber aufgrund einiger traumatischer Erlebnisse seelisch und körperlich etwas zurückgeblieben. Sie konnte kaum zusammenhängend sprechen, sich noch nicht allein ausziehen, und sie aß mit den Fingern.
In Mrs. Hortons Bericht stand, dass der zerschmetterte Körper ihrer Mutter kurz nach Marys Geburt am Ufer eines Kanals in Manchester gefunden worden war. Ihr ständig betrunkener Vater war der Hauptverdächtige gewesen, doch man hatte ihm nichts nachweisen können. Auch entzog er sich dem Gesetz, indem er ständig seinen Wohnort wechselte. Als Mary mit vier Jahren von ihrem Vater nach Australien gebracht worden war, hatte sie schon unter mehr als vierzig verschiedene Adressen gelebt. Nach einem Saufgelage hatte ihr Vater schließlich beim Rauchen sein Bett angezündet und war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Da Mary keine anderen Verwandten in Australien besaß und niemand in England sie zu sich nehmen wollte, war sie in ein Waisenhaus gebracht worden. Mary wirkte zurückgezogen und in sich gekehrt,was Hannah jedoch nicht störte. Sie fand es sehr spannend, das Zimmer mit einem anderen kleinen Mädchen zu teilen.
Früh am nächsten Morgen erwachte Tara durch das Motorengeräusch von Rex Crawleys Wagen. Wenn der Wind günstig stand, konnte man das Brummen des Motors hören, lange bevor die lang gezogene Staubwolke sichtbar wurde, die der Wagen aufwirbelte.
An diesem Morgen jedoch ging das Geräusch teilweise im Lärm der Kinderstimmen unter, was Tara zu dem Schluss führte, dass es mit der Stille im Outback jetzt wohl vorüber war.
Sie ging hinaus auf den Balkon und sah eine Frau so hastig vom Beifahrersitz des Wagens springen, als habe sie auf einem Ameisenhaufen gesessen. Taras erster Eindruck war der einer schwerfälligen, ungepflegten Person, doch andererseits sah jeder, der Rex’ Automobil entstieg, einigermaßen durchgeschüttelt aus.
»Beim heiligen Moses! Wir haben Glück, dass wir in einem Stück hier ankommen, Sie Verrückter!«, rief die Frau und warf die Tür wütend zu, ehe Rex etwas erwidern konnte. »Sie müssen ihren Führerschein jemandem im Säuferheim abgekauft haben!«
An dem starken Akzent erkannte Tara, dass die Frau aus Londonderry stammen musste. Rex öffnete die Fahrertür und streckte den Kopf heraus. »Ich bin der Postbote, kein verdammtes Taxiunternehmen. Sie können von mir aus in die Stadt zurücklaufen – oder noch besser, ich schicke ihnen einen Verwandten, der sie auf die Hörner nehmen kann – einen Stier!«
Die Frau kreischte auf vor Empörung auf und machte damit einem ganzen Baum voller schreiender Papageien ernsthafte Konkurrenz. Doch bevor sie noch ein Wort sagen konnte, setzte Rex mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zurück, wendete den Wagen und fuhr in einer Staubwolke davon. Die Frau blieb hustend und keuchend zurück.
»Kann ich Ihnen helfen?«, rief Tara vom Balkon herunter, als die Frau wieder zu Atem gekommen war. Tara war entsetzt über das, was Rex zu der Fremden gesagt hatte, gleichzeitig aber auchneugierig. Sie überlegte, ob die Frau vielleicht mit einem der Kinder verwandt war, die sich jetzt in ihrer Obhut befanden.
Die Besucherin blickte zu ihr hinauf und blinzelte im hellen Morgenlicht, während sie mit wütenden Handbewegungen die Buschfliegen vertrieb, die sich auf ihr niedergelassen hatten. Ihr faltiges Gesicht erinnerte Tara entfernt an einen verknautschten Gummischuh, und es hatte absolut keine Ähnlichkeit mit einem der Kinder im Haus.
»Oh, es tut wirklich gut, in diesem gottverlassenen Land, das kein anständiger Katholik seine Heimat nennen würde, einen irischen Akzent zu hören. Dieser Verrückte war absolut keine Hilfe – er behauptete, schon seit zehn Jahren hier zu wohnen, aber er hatte noch nie etwas von einem Reverend Jim Malally von der Hermannsburger Mission oder von meiner Schwester gehört.«
»Ich kenne zwar die Hermannsburger Mission, aber keinen Reverend Jim Malally. Ich bin aber auch noch nicht lange in der Gegend.
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