Der Ruf des Abendvogels Roman
mitleidlose Frau. »Meine Tochter hat im Interesse der Kinder gehandelt, Mrs. Conway. Sie hatte keine Möglichkeit, Sie zu erreichen ...«
»Sie hat es doch gar nicht versucht, nicht wahr? Die Behörden haben mich gefunden und mir mitgeteilt, dass mein Schwager umgekommen war.«
»Ihre Schwester hatte Tara erzählt, dass sie selbst eine große Familie haben.«
Moyna seufzte theatralisch. »Meine drei ältesten Töchter gehen schon ihre eigenen Wege.« Sie erzählte nicht, dass die drei ausgezogen waren, sobald es ihnen möglich gewesen war, und jetzt für Lohn in anderen Diensten standen, anstatt umsonst für sie zu schuften. »Die vier Jüngsten habe ich allerdings noch zu Hause ...« Zwei davon waren Jungen, und ihr Mann hatte darauf bestanden, dass sie sich bezahlte Arbeit suchten, sodass Moyna und die beiden Mädchen sich jetzt allein um die Farm kümmerten. »Ich liebe Kinder, und die meiner Schwester sollen bei ihren Verwandten aufwachsen.«
In diesem Moment kamen mehrere Jungen lärmend die Treppe hinuntergerannt, gefolgt von zwei weiteren, die am Geländer herunterrutschten. Elsa bemerkte, dass der Krach Moyna zu irritieren schien, ein Anzeichen dafür, dass es mit ihrer angeblichen Kinderliebe nicht so weit her sein konnte. Direkt hinter den Jungen, die aus dem Haus stürzten und Shellie vor sich her jagten, folgte Jack, der ins Wohnzimmer schaute, als er an der Tür vorüberkam. Er erkannte den Rücken seiner Tante auf Anhieb und blieb wie angewurzelt stehen. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen.
»Tante Moyna!«
Moyna Conway wandte sich um. »Jack!«
»Was machst du denn hier?«, fragte der Junge in nicht eben freundlichem Ton. Einen Moment lang durchzuckte ihn der Verdacht, dass Tara sie benachrichtigt haben könnte, doch er konnte es nicht glauben.
»Das ist keine Art, deine Tante zu begrüßen, Jack«, sagte sie mit aufgesetzt wirkendem Lächeln. »Ich bin gekommen, um euch nach Irland zurückzuholen. Du und deine Schwester, ihr werdet von jetzt an bei mir wohnen.«
Jack war ganz entsetzt. »Ich will aber nicht ... zurück nach Irland.«
Das aufgesetzte Lächeln verschwand wie die ersten Regentropfen in der Wüste. »Du bist viel zu jung, um selbst zu wissen, was gut für dich ist, Jack«, erklärte Moyna, und es war offensichtlich, das sie sich sehr zusammennahm. Über ihren dichten Brauen hatten sich Schweißperlen gebildet, und ihre Lippen zuckten, als hätte sie am liebsten geflucht. »Deine Eltern hätten gewünscht, dass ihr bei Verwandten aufwachst.«
»Die Kinder sind glücklich hier, Mrs. Conway«, wandte Victoria ein.
Moyna holte tief Luft in dem offensichtlichen Bemühen, ihre Beherrschung nicht zu verlieren. »Ich bin sicher, dass sie sich gut um sie gekümmert haben, Mrs. Milburn. Aber sie werden sich bei uns schnell eingewöhnen.« Dass ihr gesamtes Haus kleiner war als das Wohnzimmer, in dem sie saßen, verunsicherte Moyna und erregte ihren Neid.
»Meine Tochter liebt diese Kinder, Mrs. Conway«, erklärte Elsa. »Es würde ihr das Herz brechen, wenn Sie sie mitnehmen. Ich bitte Sie, tun Sie es nicht!«
Victoria dachte, dass das Haus ohne Jack und Hanna nicht mehr dasselbe sein würde.
»Ich habe ein Telegramm an die Verwandten von Mrs. Tara Flynn geschickt, und Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, darauf zu antworten.«
»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklärung«, erwiderte Victoria. »Wir haben es nicht bekommen.«
»Ich habe aber eine Antwort von einem Reverend Jim Malally erhalten, der mit schrieb, die Kinder seien hier nicht glücklich, Mrs. Killain – wem soll ich denn nun glauben?«
Victoria runzelte verwirrt die Stirn. »Ich weiß nichts von einem Reverend Jim Malally, Mrs. Conway, und ich kenne jeden hier in der Gegend.« Plötzlich kam ihr eine Ahnung, was passiert sein mochte: Tadd musste das Telegramm abgefangen und Moynageantwortet haben. Sie begann vor Wut zu zittern: Ja, eine so boshafte Rache sah Tadd ähnlich!
»Bitte lassen Sie jemanden die Sachen der Kinder packen, Mrs. Milburn – ich nehme die beiden mit, und zwar jetzt sofort.«
In diesem Moment kam Tara zurück. »Sie können sie nicht mitnehmen, Moyna – ich lasse es nicht zu. Maureen wollte nicht, dass Sie sie bekommen; sie hat mir erzählt, Sie seien grausam zu ihren eigenen Kindern ...« Sie legte Jack beschützend einen Arm um die Schultern und fühlte, dass er zitterte.
Jack seinerseits spürte, wie Tara bei dem Gedanken litt, ihn und Hannah vielleicht zu verlieren,
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