Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
die von Laternen erleuchteten Straßen des French Quarters liefen, zog mich Lucian in eine dunkle Ecke, um mich zu küssen. Er flüsterte mir ins Ohr, wie sehr er sich wünschte, mit mir allein zu sein, ohne die anderen, damit wir endlich zusammen sein konnten. Dass auf uns eine Welt wartete, in der wir uns vor niemandem verantworten mussten, eine Welt, in der es all diese Kategorien und Regeln nicht gab, in der man nicht zu Engeln oder Teufeln gehören musste, in der man einfach nur sein durfte. Das war alles, was er wollte, wovon er träumte, und ich musste ihm nur in dieses Reich folgen, um das alles zu haben.
Aber irgendwie fand ich mich überhaupt nicht zurecht. Es sah so aus, als hätten wir diesen dichtbelaubten Park, Congo Square, erreicht, in dem Dante und ich mittags manchmal zusammen aßen. Aber dann waren wir plötzlich am Wasser. Lucian ließ meine Hand los und rannte immer weiter, verschwand irgendwann am Horizont. Bevor ich noch begriff, wie und warum, stand ich von einer Sekunde auf die andere plötzlich auf einem der Dampfboote, die auf dem Fluss fuhren. Musik spielte, während die Passagiere tanzten und an ihren Drinks nippten. Mein Verstand arbeitete viel zu langsam, um all das zu verarbeiten, was da auf mich einprasselte – die Bilder und Töne und der wilde Adrenalinschub, den sie auslösten. Und trotzdem fühlte es sich trotz meiner Verwirrung so an, als sei irgendetwas entfesselt worden, als hätte man mich davon befreit, mich erleichtert und Platz für eine ganz neue Art von Freiheit gemacht. Meine Seele war irgendwo aus den Tiefen meines Seins aufgestiegen, um die Welt zu begrüßen und ihre Freiheit zu genießen.
Lucian war immer noch nicht zurück, aber wie alles andere auch störte mich das in diesem Moment nicht. Clio und Jimmy saßen etwas abseits auf einer Bank, von der aus man über das Wasser schaute, hatten jedoch keine Augen für die Aussicht. Sie löste sich von ihm und trat neben mich, während ich verträumt zum dunklen Hafen hinübersah. Mir reichte es schon, einfach alles vorbeiziehen zu sehen, den Augenblick zu genießen, mein Verstand wurde immer langsamer, um sich dem sanften Rhythmus unserer Bootsfahrt anzupassen, aber mein Herz und jeder einzelne Nerv meines Körpers liefen nun auf Hochtouren, um das alles in sich aufzunehmen – vom süßen, klebrigen Geruch der Luft über dem Fluss bis hin zum Wind, der mich umstrich, und den Wellen auf dem Wasser unter uns. Meine Sinne und meine Seele liefen auf Hochtouren, saugten jede Unze Gefühl aus jeder Sekunde jeder einzelnen Minute.
»Dir ist doch wohl klar, dass er dich liebt, oder? Das musst du doch sehen«, sagte Clio gurrend zu mir.
»Ach, tatsächlich?« Ich hatte keine Ahnung, warum wir miteinander sprachen wie Freundinnen. Wieso hatte ich gar keine Angst vor ihr? Aber so schnell, wie ein Vogel in einer einzigen raschen Bewegung zur Wasseroberfläche hinunterfahren, einen Fisch packen und mit ihm im Schnabel wieder davonfliegen konnte, wischte ich diesen Gedanken weg.
Jetzt erschien die junge Frau mit den braunen Haaren. »Er ist so wunderschön, und er liebt dich doch. Weshalb bist du nicht mit ihm zusammen?«
»Es ist eben kompliziert«, hörte ich mich selbst sagen.
»Wieso denn?«, fragte die Brünette. »Du bist 17. Warum sollten die Dinge kompliziert sein? Etwa, weil du ein Engel bist?« Dass eine völlig Fremde dieses Wort zu mir sagte, hätte mich eigentlich schockieren müssen, es berührte mich jedoch nicht mehr als eine Unterhaltung über das Wetter oder über eine Lieblingssendung im Fernsehen. »Dabei bist du in Wirklichkeit gar keiner. Zumindest noch nicht. Nicht ganz.«
»Dein Ziel liegt noch in weiter Ferne«, warf Clio ein. »Und vermutlich wirst du es bis dahin ja nicht einmal schaffen. Die sagen dir nämlich nicht, wie hart dieser Weg wirklich ist. Es wird so hingestellt, als wäre es ganz einfach, als wäre es eben dein Schicksal, deine Bestimmung. Aber in Wirklichkeit ist es brutal, und am Wegesrand bleiben all die zurück, die gescheitert sind.« Sie verstummte und zeigte ein Lächeln, von dem sie mit Sicherheit wusste, was für eine mächtige Waffe es war. »Es wäre so viel leichter, einfach mit ihm zu gehen. In seinem Reich zu leben. Fändest du das nicht wunderbar? Wäre das nicht viel einfacher als dein jetziges Leben?«
»Magst du das Leben, das du jetzt führst, überhaupt?«, erkundigte sich nun die Brünette.
»Nachdem du schon so einiges von dem gesehen hast, was nötig ist, um
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