Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)

Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimee Agresti
Vom Netzwerk:
Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht, genau wie mein Abbild auf der Scheibe. Aber dieses Mädchen war gar nicht ich. Das Spiegelbild zeigte jemand ganz anderen, ein ideales Wesen mit wallendem Flachshaar und gertenschlanken Beinen, die wie auf dem Laufsteg einen anmutigen Schritt vor den anderen setzten, und durchdringendem, sinnlichem Blick. Wer war das bloß? Und wo war ich?

27
    Das bist ja nicht mal du selbst
    D ie Glocken hörte ich als Erstes. Sie erklangen so laut und dröhnend, dass sie mich am ganzen Körper durchrüttelten und das Echo in meinem Kopf widerhallte, als läuteten sie in mir. Und dann hörte ich da noch etwas in einer anderen Tonlage – Sirenen? Eigentlich war mir das aber auch egal. Ich war viel zu sehr von innerem Frieden erfüllt, um mich daran zu stören. Sanft wurden die Töne wieder ausgeblendet.
    Meine Augen öffneten sich nur einen winzigen Schlitz weit und ließen das fahle Licht der aufgehenden Sonne herein. Kühle Morgenluft umfing mich. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war oder wie ich hierhergekommen war, aber das war mir jetzt egal. Ich war sowieso noch nicht dazu bereit, die Augen weiter aufzumachen. Warum auch? Wozu die Eile? Ich konnte mich kaum rühren, spürte beinahe gar nichts, abgesehen von einem Gefühl innerer Ruhe und Friedens, das mich erfüllte, als schwebte ich durch Zeit und Raum. Plötzlich schien alles in Ordnung zu sein, ich stand den Dingen mit einer Gelassenheit gegenüber, die mir doch mein Leben lang gefehlt hatte. Und ich dachte an Lucian. Ich wünschte, er wäre jetzt bei mir. Warum mussten wir eigentlich all diese Regeln befolgen, die uns voneinander trennten? Das kam mir so absurd vor. Dabei war es doch so offensichtlich, dass wir zusammengehörten. Wo steckte er nur? Und wo war ich? Ich hatte keine Ahnung, wo ich gewesen war und mit wem, was ich getan hatte. Ich schwebte in diesem Nirwana. Ich ließ mich treiben und schloss wieder die Augen.
    Die Glocken. Schon wieder diese Glocken. Die sollen aufhören , dachte ich. Was war das nur? Warum waren die so laut? Sie ließen mich am ganzen Körper erzittern, und es kam mir so vor, als würde mir gleich das Trommelfell platzen. Endlich öffneten sich meine Lider ganz langsam, und ich blinzelte in die grelle Sonne. Dann begann meine Umgebung Form anzunehmen: der starre Umriss eines Mannes auf einem Pferd, das Laub von Bäumen, das im kühlen Wind raschelte, und direkt vor mir der klare Himmel über dem Fluss. Zittrig, unsicher setzte ich mich auf. Mir brummte der Schädel, jeder Muskel schmerzte, und die Knochen fühlten sich an, als hätte man mich durch den Fleischwolf gedreht. Aber meine Beine, die waren locker und lose. Ich sah noch einmal genau hin. Ich war auf einer Höhe mit den Wolken. Als ich nun nach unten sah, stockte mir der Atem. Den Mann auf dem Pferd kannte ich – das war Andrew Jackson. Unter mir lag der Jackson Square. Unter mir .
    Mein Herz machte einen Satz. Ich saß auf einem steinernen Vorsprung, meine Füße baumelten in der Luft, nichts schützte mich oder hielt mich hier oben fest. Ich hätte genauso gut auf den Asphalt dort unten stürzen können. Hatte ich hier etwa geschlafen? Ich hätte umkommen können, wenn ich mich einfach nur umgedreht hätte. Mit schwitzenden Händen umklammerte ich jetzt die Kante. Die Glocken verstummten. Ich versuchte, einmal tief Luft zu holen, atmete aber abgehackt ein und begann zu husten. Ich musste von diesem Vorsprung runter, aber wie? Ich war wie gelähmt, hatte Angst, mich zu rühren, und trotzdem raste mein Herz, klopfte so laut und schnell in meiner Brust, dass ich das Gefühl hatte, schon seine Bewegungen könnten mich in die Tiefe stürzen. Ich schwitzte, zitterte, mir war heiß und kalt. Auf keinen Fall durfte ich nochmal nach unten schauen. Stattdessen sah ich also lieber hoch. Direkt über mir reckte sich der mittlere Kirchturm der St.-Louis-Kathedrale in den Himmel. Aber … wie denn bloß?
    Ich konnte es einfach nicht begreifen. Ich musste hier runter. Jetzt sofort. In meinem Kopf begannen Zahlen zu kreisen, jeder einzelne Fakt, den ich je über dieses Bauwerk gelesen hatte: König Louis IX. von Frankreich gewidmet. Im späten 18. Jahrhundert zerstört und wieder aufgebaut, dabei arbeitete Latrobe daran mit. Aber der eine Punkt, zu dem ich immer wieder zurückkehrte, waren die 40 Meter Gesamthöhe. Das hieß also, dass ich jetzt etwa 24 Meter hoch oben war. Dann kam mir aber eine weitere interessante Information in den Sinn: Ich konnte

Weitere Kostenlose Bücher