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Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)

Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimee Agresti
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ein Engel zu werden?«, führte Clio den Gedanken fort. Inzwischen rahmten mich die beiden links und rechts ein und flüsterten mir von beiden Seiten Ideen ein. Und die klangen so wahr, als hätten sie einen Teil meines Unterbewusstseins angekratzt, der diese Überlegungen einfach nie in Worte fassen wollte, weil er befürchtete, damit zu zerstören, was mich antrieb und am Leben erhielt.
    »Ist dir denn noch nie aufgefallen, dass du es viel schwerer hast als alle anderen? Wie viel da von dir erwartet wird? Warum denn nur? Mir kommt das ziemlich unfair vor.«
    »Wann darfst du denn endlich mal leben? Wann kommt für dich der Moment, an dem du einfach machen kannst, was andere jeden Tag tun, ohne ständig von Angst und Sorge gequält zu werden?«
    »Wünschst du dir nicht, dass deine Narben aufhören würden zu brennen?«
    »Das muss alles nicht so sein. Es gibt einen einfacheren Weg. Einen besseren Weg.«
    »Und wir finden es einfach fantastisch, dich bei uns dabeizuhaben. Hast du etwa keinen Spaß? Und so läuft das hier jede Nacht.«
    »Ich denke, daran könnte ich mich gewöhnen«, hörte ich mich selbst sagen und fühlte mich noch im selben Moment durch meine eigenen Worte verraten. Ich spürte, dass sich in mir ein Riss auftat, ein Spalt, der meine Seele in zwei Teile zerbrach, aber ich hatte nicht die Kraft, etwas dagegen zu tun. Die Worte kamen ganz ungefiltert aus meinem Mund. Ich trug eine Schlacht gegen mich selbst aus und konnte mein gesundes Ich plötzlich nicht mehr finden, es war begraben. Aber es war unter Bruchstücken der Wahrheit begraben. Ich war den Druck auf mich ja wirklich leid, ich hatte die Nase voll davon, einen so steinigen Pfad vor mir zu haben. Was ich da sagte, war keine Lüge. So empfand ich die Dinge, auch wenn ich angestrengt versuchte, es zu verdrängen.
    Auf jeden Fall konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut gefühlt hatte wie in diesem Moment. Es war so erfrischend. Ich hatte das Gefühl, als hätte mir jemand die Augen geöffnet: Mir war überhaupt nicht klar gewesen, wie sehr mein Los, diese Rolle, in die man mich gedrängt hatte, zu einer Belastung geworden war. Ich hatte gar nicht begriffen, wie sehr sie jede einzelne Zelle, jeden Muskel und Knochen meines Körpers, jeden Gedanken, jeden Augenblick meiner Existenz vergiftet hatte. Das volle Ausmaß dieses Drucks war mir nicht bewusst gewesen. Bis jemand diesen Schleier vor meinen Augen weggezogen hatte, war mir nicht klar gewesen, wie verängstigt und frustriert ich war. Ja, ich konnte mich wirklich an dieses Gefühl gewöhnen. Vielleicht sogar danach süchtig werden.
    Allerdings hatte ich kaum Zeit, all diese Überlegungen anzustellen, weil mich nun schon wieder ein wilder Rausch mitriss. In dieser Nacht wehte ein endloser Wirbelwind, der jeden Nerv des Körpers belebte und der niemals enden sollte – selbst wenn ich aus irgendeinem Grund nicht die ganze Zeit mitbekam, was da eigentlich genau passierte. Es kam mir so vor, als würde bei den Ereignissen der Nacht jemand ständig die Karten neu mischen – die zeitliche Abfolge schien irgendwie nicht zu stimmen, und zwischendrin fehlte immer mal wieder ein Stück. Ich hatte keine Ahnung, wie ich von A nach B gekommen war oder wo ich zwischendurch gewesen war.
    Ich schien mich zum Beispiel vage daran zu erinnern, dass ich irgendwann mit Lucian und allen anderen zusammen im verwunschenen Haus gewesen war und dass er und ich eine Art Pakt geschlossen hatten, der uns miteinander verband. Danach hatte ich das Gefühl, dass ich ihm wirklich wichtig war, dass er mich genauso wollte wie ich ihn, dass er sich ebenso zu mir hingezogen fühlte. Es war eine wahre Offenbarung gewesen. Aber ich konnte mir einfach keine Einzelheiten ins Gedächtnis rufen, kein einziges Detail schaffte es bis in meinen Verstand, zurück blieb nur Begeisterung. Ein intensives Gefühl von Unbesiegbarkeit, Macht, Stärke und innerem Frieden erfüllte mich und hätte nicht allumfassender oder berauschender sein können. Das alles hatte eine Sogwirkung, es fühlte sich überirdisch, betörend an, riss mich wie im freien Fall mit. Es ergriff von mir Besitz, besänftigte den angespannten, misstrauischen Teil meines Bewusstseins, der zunächst alles in Frage gestellt hatte, sich aber irgendwann ergab. Wovor hatte ich bloß solche Angst gehabt?
    Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war mein Spiegelbild in einem Schaufenster, an dem wir in den frühen Morgenstunden vorbeikamen.

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