Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
begriffen, was in deiner Zeit mit der Krewe wirklich geschehen ist.
Das bestätigte auf jeden Fall schon mal eins: dass wir uns tatsächlich inmitten dieses Wirbelsturms aus Tod und Schrecken befunden hatten, während wir gleichzeitig nur das Gefühl hatten, einen tollen Abend zu verleben. Der nächste Satz klang jedoch schon ganz anders.
Wenn du das Grauen in ihrer Nähe noch einmal ertragen kannst, dann solltest du den Plan, den du schmiedest, ernsthaft in Erwägung ziehen.
Es stimmte. Ich hatte mir die Sache bereits durch den Kopf gehen lassen. Und jetzt hatte ich das Gefühl, dass mir gar keine andere Wahl mehr blieb.
»Dieser Plan«, sagte Lance und klopfte auf den Bildschirm, »kannst du mich in den vielleicht einweihen?« Sein durchdringender Blick verriet mir, dass er jetzt kein Nein akzeptieren würde.
»Nichts lieber als das«, sagte ich.
Lance rollte sich an meiner Seite zusammen und blieb den Rest der Nacht bei mir, bis die Morgensonne durchs Fenster schien und ich die Augen weit aufmachte, um sie zu begrüßen. Mein Körper fühlte sich wach an, endlich war ich wieder munter, war ich wieder ich selbst. Der dumpfe Schmerz auf der Schulter ließ langsam nach, obwohl mich das Grauen meiner Träume noch immer begleitete.
In meinem Kittel setzte ich mich mit einem Stift in der Hand an den Schreibtisch und schrieb die Worte nieder, die ich in Gedanken immer und immer wieder durchgegangen war.
L,
bitte verzeih mir, was da letztens passiert ist. Können wir nochmal ganz von vorne anfangen? Natürlich will ich dir helfen. Aber dafür brauche ich zunächst einmal Unterstützung von dir: Kannst du herausfinden, wo die Krewe beim nächsten Mal zuschlagen wird?
Und dann gibt es da noch etwas, das mir keine Ruhe lässt: Was ist passiert, als Lance und ich markiert wurden? Haben wir da jemanden verletzt? Ich muss einfach wissen, ob wir wirklich an den Taten der Krewe beteiligt waren.
In tiefster Zuneigung,
H
Ich zog mich an und ging zum Herrenhaus hinüber, lange bevor die anderen bei uns im Haus wach waren. Das Fenster drüben war noch nicht repariert worden, also hatte man eine durchsichtige Plane darübergeklebt. Dahinter konnte ich die Kerze neben einer von diesen Flaschen sehen. Die Tür war verschlossen und da die Renovierungsarbeiten jetzt abgeschlossen waren, konnte ich auch nicht sagen, wann sie das nächste Mal wieder offen sein würde. Die wenigen Passanten schenkten mir keine Beachtung, also zog ich mein Schweizer Taschenmesser hervor und schnitt ein kleines Loch in die Plane. Ich griff nach der Flasche und schob im Gegenzug meine Nachricht unter die Kerze.
Ich zerschlug das Glas erst, als ich mich in unseren gemütlichen Innenhof zurückgezogen hatte. In der Flasche fand ich zwei knisternde Nachrichten vor.
Auf der ersten stand das Datum von Max’ Geburtstag:
H,
es tut mir wirklich leid, dass ich nicht hier sein kann; ich habe dir so viel zu erzählen. Die Metamorphose rückt näher, man hat sich für den Tag der Mardi-Gras-Feierlichkeiten entschieden. Deshalb solltest du jetzt auch mit der Planung beginnen. Ich werde wegen deiner Hilfe auf ewig in deiner Schuld stehen. Ich könnte es aber auch verstehen, wenn du irgendwann beschließt, dass es das doch nicht wert ist. Du hast mir jetzt schon viel mehr gegeben, als ich je erwartet hätte, nämlich Hoffnung. Sehen wir uns heute Abend? Ich werde dir ein Zeichen geben.
Dein Lucian
Ich las die Nachricht zweimal, bevor das Unausweichliche geschah. Ich hielt das Papier noch ein paar Sekunden fest, dann ertrug ich die Hitze nicht länger, und ich ließ es fallen. Es fing Feuer und begann zu knistern, bevor es sich in Asche verwandelte und völlig zerfiel. Dann faltete ich den zweiten Zettel auseinander, der vom Tag darauf stammte:
H,
ich habe von den Bewohnern meiner verdammten Welt erfahren, dass du markiert wurdest, und bin von Sorge und Schuldbewusstsein erfüllt. Gib mir doch bitte Bescheid, dass mit dir alles in Ordnung ist. Deine Sicherheit ist für mich im Moment das einzig Wichtige. Ich werde nicht ruhen, bis ich weiß, dass es dir gut geht.
Alles Liebe,
L
Ich studierte die Nachricht, versuchte sie mir einzuprägen. Das war also nötig, damit er mir solche Worte des Abschieds widmete: unmittelbare Gefahr für Leib und Seele. Ein Gutes musste das Trauma der letzten Tage ja haben. Und ich nahm, was ich kriegen konnte. Eine Stichflamme verwandelte schließlich auch diesen Fetzen Papier zu Asche.
Lance traf mich unten im Hof an, wo
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