Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
die sich in grauenhafte Versionen ihrer selbst verwandelt hatten. Ich floh die Leiter hinunter, rannte den Flur entlang und hämmerte an Lance’ Tür. Als er aufmachte, sah er aus, als wäre er gerade aus dem Bett gestiegen. Er putzte sich die Brille mit dem Saum seines Cubs-T-Shirts.
»Sabines Dad glaubt, sie wäre längst wieder hier.«
Als wir uns auf den Weg zu Connors Zimmer machten, war uns natürlich klar, was passiert war, aber wir ließen ihn die schreckliche Wahrheit aussprechen.
»Also muss sie eine von ihnen sein«, sagte er.
»Aber wir haben doch die Seele aus ihrem Körper gezogen«, wandte ich ein. »Und dann war da noch Dantes Zauber. Ich begreife das nicht.«
»Es trifft eben jeden anders.« Connor schüttelte den Kopf. »Brody wurde markiert und ist nie wieder zurückgekehrt, er wurde einfach in ihre kranke Welt hineingezogen – wie wir jetzt wissen.« Er verstummte niedergeschlagen, bevor er fortfuhr: »Und dann sieh dir nur Lance und dich und all die anderen an, die es gepackt haben. Vermutlich war Sabine schon zu ihnen übergelaufen, bevor wir das mit ihrer Markierung überhaupt bemerkt haben.«
»Aber das müsste doch eigentlich egal sein, immerhin haben wir alles getan, um sie zu beschützen, nicht wahr?«, fragte Lance. »Oder haben wir etwa irgendetwas versäumt?«
Da fiel mir etwas ein. »Nach dem Schweberitual war sie doch putzmunter«, rief ich ihm in Erinnerung. »Ich weiß ja nicht, wie es bei dir war, aber ich war nachher völlig k.o. Und du«, ich deutete auf Connor, der mit vor der Brust verschränkten Armen aufmerksam zuhörte, »du hast doch gesagt, dass die wahre Arbeit die Person leistet, um deren Seele es geht.«
»Stimmt«, bestätigte er.
»Es ist also gut möglich, dass sie es nicht mal richtig versucht hat«, führte Lance den Gedanken zu Ende.
Connor schwieg lange, ließ den Kopf hängen und sagte dann mit neuer Verletzlichkeit: »Das glaube ich auch.«
Auf unserem Weg zum Warehouse District kamen wir an Kips Laden vorbei, und plötzlich verspürte ich einen Stich. Nicht im emotionalen Sinn, sondern ganz wörtlich: Ein Stechen in der Brust ließ mich stehen bleiben.
»Alles in Ordnung?«, fragte Lance.
»Ja, ich hab nur …« Plötzlich war ich jedoch abgelenkt. Durchs Fenster des Ladens sah ich eine Frau mit langer, wippender Mähne im Hinterzimmer verschwinden. Lance folgte meinem Blick.
»Hey, guck mal«, sagte er. »Ist das nicht die, die immer mit Wylie rumzieht?«
Ich nickte. Dann dachte ich an Sabine und daran, wie sie am Tag vor dem Mord hier im Tattoo-Studio rumgehangen hatte. Mir kam ein furchtbarer Gedanke, den verdrängte ich aber lieber und ging stattdessen weiter.
Wir erreichten die Lagerhalle und fanden sie wie üblich geschäftig vor, es wurde gehämmert und gesägt, fröhliche Unterhaltungen erfüllten die Luft. Wir gingen zwischen unseren Mitfreiwilligen auf den Bereich zu, in dem unsere kleine Gruppe der Royal-Street-Engel damit beschäftigt war, Laub für unseren Friedhofswagen herzustellen. Unterwegs ließ ich den Blick über die anderen Kollegen des Freiwilligenprogramms wandern. Sie plauderten und lachten bei der Arbeit, erschienen mir so unbeschwert. Ein paar von ihnen hatten sogar angefangen, sich gegenseitig mit Farbe zu bewerfen. Wie oft hatte ich das schon in Filmen gesehen, passiert war es mir trotz all der Streicherei im letzten Jahr jedoch noch nie. Während ich ihnen zusah, sehnte ich mich so sehr nach der Normalität ihres Lebens. Und plötzlich verspürte ich diesen scharfen, stechenden Schmerz, den ich vor Kips Laden verdrängt hatte, noch viel heftiger.
Zuerst dachte ich, es sei vielleicht eine ganz normale Panikattacke, die ja sicher berechtigt war, so wie um mich herum die Gefahr näher rückte, aber da war noch etwas anderes. Es begann mit der Narbe auf meiner Brust, schien sich dann aber auf den ganzen Körper auszubreiten, ergriff von meinem Herzen Besitz und ließ es langsamer schlagen, schob sich in meine Lunge und machte mir das Atmen schwer, bohrte sich in mein Hirn, bis sich mein Kopf anfühlte, als würde er in zwei pulsierende Hälften zerbrechen. Ich wurde langsamer, fiel ein paar Schritte hinter Lance zurück und musste schließlich stehen bleiben. Wie erstarrt verharrte ich neben einem Jungen, der mit einer Kreissäge Balken zerschnitt. Das hungrige Kreischen des Metalls dröhnte in meinen Ohren, während es sich durch das Holz fraß, und jedes einzelne Stück spuckte Späne, die auf meiner verschwitzten
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