Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
den Glastüren zur seitlichen Veranda aufgebaut hatte. Ich griff nach meinem mit Wasser gefüllten Weinglas – nach all dem würzigen Essen hatte ich eine ganz trockene Kehle –, und wir schoben uns durch die Menge zu der Theke, hinter der man das fruchtige Getränk eimerweise herstellte.
»Ich frage mich, wie viele Liter man wohl braucht, um an Silvester den Durst einer solchen Menschenmenge zu stillen, wenn die Leute besonders große Lust haben, sich zu betrinken. Man müsste wohl auch das Verhältnis von Alkoholtrinkern zu Abstinenzlern berücksichtigen.« Lance ließ den Blick über die Menge schweifen, und hinter seiner Stirn ratterte es, als seine kleinen grauen Zellen zu arbeiten begannen.
Und da war er schon wieder, blitzte kurz in der Menge auf, ich hatte ihn ohne jeden Zweifel gesehen. Ganz weit hinten. Und es war wirklich er .
Mein Kopf fuhr herum, weil ich ihn auf keinen Fall wieder verlieren wollte. Ich erstarrte, als sich die Menge teilte und mir einen eindeutigen Blick in diese Augen erlaubte, die sich mir ins Gedächtnis eingebrannt hatten. Diese Augen, die ich zum letzten Mal gesehen hatte, als er in die Tiefe gestürzt war, wo ihn die Feuer der Unterwelt erwartet hatten. Es hatte mir das Herz gebrochen. Jetzt durchbohrten sie mich mit Blicken, ließen mich erstarren und sahen mehrere endlose Sekunden lang nichts weiter an als mich, während zwischen uns die Menge wogte.
Glockenklang ließ mich wieder zu mir kommen, und das Glas rutschte mir aus der Hand. Er zerschellte zu meinen Füßen, so dass ich abgelenkt war und den Blick abwandte. Um mich herum stoben die Partygäste auseinander. Dante und Lance hatten sich längst in die Schlange für die Hurricanes eingereiht. »Oh Gott, das tut mir so leid«, beteuerte ich nach links und rechts, während die Scherben unter meinen Schuhen knirschten. Ein schwarz-weiß gekleideter Kellner eilte bereits mit einem Besen heran.
Ich schaute wieder auf und stellte mich auf Zehenspitzen. Seine Augen fingen meinen Blick wieder ein, und dann drehte er sich um und ging schnurstracks auf den Wintergarten zu. Jetzt erklang eine muntere Stimme, die zu niemanden zu gehören schien: »Kommt doch bitte alle im Ballsaal zusammen!« Die Massen strömten in die andere Richtung. Gegen den Strom kämpfte ich mich voran, verzweifelt folgte ich ihm, ohne überhaupt nachzudenken. Jetzt übernahm etwas die Kontrolle, das sogar noch über einen Reflex oder Instinkt hinausging, das animalische Verlangen, ihn nicht entkommen zu lassen.
Ich erreichte den Wintergarten, dessen Türen zum Innenhof aufstanden. Die Figur im schwarzen Anzug überquerte den Rasen und verschwand im Labyrinth aus Hecken im Park. Ich hastete die Stufen hinunter, versuchte, dabei nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und begann zu rennen, als ich den Irrgarten betrat. Mit jedem Schritt versanken meine Absätze im Rasen und erschwerten mir das Vorankommen. Ich konnte seine leisen, schnellen Tritte hören, als er tiefer in die Windungen des Labyrinths vordrang, und gab mein Bestes, um ihm dicht auf den Fersen zu bleiben. Die frische Nachtluft strich kühl über meine schweißbedeckte Haut, während ich um dunkle Ecken bog und die stacheligen Triebe der Hecke nach mir griffen, bis ich endlich ein Licht in der Ferne entdeckte.
Als ich darauf zuhielt, begannen die Narben über meinem Herzen aufzulodern. Aber ich konnte jetzt nicht stehen bleiben, ich musste weiterlaufen. Mit letzter Kraft umrundete ich eine weitere Ecke und erreichte ein steinernes Rondell, in dessen Mitte ein erleuchteter Brunnen sanft vor sich hinplätscherte.
Und da stand Lucian, umgeben von warmem Licht, das von seiner Haut reflektiert wurde. Sein kantiger Kiefer setzte sich vor diesem Schein deutlich ab, und in seinen Augen lag ein ganz besonderes Funkeln. Mir fehlten die Worte.
»Haven …«, sagte er sanft, und erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich diese Stimme all die Monate vermisst hatte, obwohl es eigentlich nicht so sein sollte. Ich machte einen Schritt nach vorn, und in diesem Moment brach meine ganze Welt zusammen. Es war, als wäre ich in eine Falle getreten und hätte einen Mechanismus ausgelöst, der ihm plötzlich die Maske herunterriss. Vor meinen Augen verwandelte sich dieser Mann in etwas anderes. Er wurde größer und kräftiger, sein Haar nahm einen dunkleren Farbton an, und die Knochen in seinem Gesicht formierten sich neu, bis ich nicht mehr Lucian vor mir hatte.
Stattdessen stand der Fürst vor mir,
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