Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
gewesen. Mein Freund aber machte so etwas einfach nicht. Er behielt gern die Kontrolle, darauf war er sogar stolz. Oft hatte er sich über die Kids an der Schule lustig gemacht, die am Wochenende einen draufmachten. Ich kletterte hoch in mein Bett und warf einen Blick auf die Uhr. Bald war es Zeit zum Aufstehen.
Ich hörte Sabine nicht hereinkommen. Als ich am Morgen aufwachte, lag sie in ihrem Bett, und Lance war verschwunden. Ich schaute nach ihm und fand ihn in seinem Zimmer, wo er sich gerade für den Tag fertigmachte. Er sah so aus, als wäre bei ihm wieder alles ganz normal. Ich hatte keine Zeit, mich bei ihm zu erkundigen, was denn in der Nacht bloß passiert war, weil wir uns alle auf den Weg zur Arbeit machen mussten. Unterwegs ergötzte uns Sabine mit Geschichten von ihrem Date.
»Und nach dem Essen und der Musik und dem allen wollte er gern einen Spaziergang machen, um endlich mit mir allein zu sein. Ist das nicht Wahnsinn?«
»Ja, ganz toll«, erwiderte ich sarkastisch. »Sabine, warum begreifst du es einfach nicht?« Dante seufzte wütend.
»Wir waren am Jackson Square. Da ist es nachts wunderschön, und wir haben so eine versteckt gelegene Bank gefunden und …« Sie sah uns bedeutungsvoll an. Ich schüttelte den Kopf. »Und warum soll ich dir diese Sache mit den Fotos überhaupt abkaufen?«, fauchte sie in meine Richtung. So langsam frustrierte sie unser Verhalten. »Das kriegt mit Photoshop jeder hin. Dante, jetzt sag doch auch mal was!« Mein Kopf fuhr zu ihm herum.
»Tut mir leid, Sabine, aber ich bin auf Havens Seite.«
Lautlos hauchte ich »Danke« in seine Richtung.
»Selbst wenn ich dir jetzt erzähle, dass Max gerade eben mit mir über dich gesprochen hat?«, lockte Sabine in unglaublich überzeugendem Tonfall.
Dante begann zu strahlen. »Oh? Was hat er denn gesagt?« Er tat sein Bestes, um sich ganz cool zu geben, aber ich konnte sehen, dass er vor Freude innerlich auf und ab hüpfte.
»Nur, dass ihr beide euch gestern Abend zusammen was zu essen geholt habt, weil ihr ja noch spät gearbeitet habt«, verkündete sie ganz locker. Dante hing an ihren Lippen, als läge in diesen Worten irgendeine tiefergehende Bedeutung.
»Stimmt«, bestätigte er, und in seiner Stimme schwang eine gewisse Enttäuschung mit.
»Und …« Sabine zog das Wort in die Länge, als würde sie Dante gleich ein Geschenk überreichen. »Das hat er zwar nicht gesagt, aber ich weiß ganz genau, dass er auf dich steht. Nur, falls es dich interessieren sollte.«
»Ja, das könnte durchaus sein«, antwortete er mit einem Funkeln in den Augen.
Ich blendete ihre Unterhaltung aus und ließ meine Gedanken schweifen. Die ganze Zeit fragte ich mich, was Lucian mir wohl im Haus hinterlassen hatte. Aber dann durchbrach irgendetwas aus der Ferne meine Gedanken. Am Ende des Blocks entdeckte ich direkt vor dem Tattoostudio ein Tatortband. Davor standen ein paar Schaulustige und sahen dabei zu, wie zwei Polizisten am mit Blaulicht geparkten Wagen Verstärkung riefen.
»Hey«, unterbrach ich Sabine und Dante, die zu sehr in ihr Gespräch vertieft waren, um irgendetwas mitzubekommen. »Was ist denn da hinten los?« Ich verlangsamte meine Schritte und deutete in Richtung der Absperrung. Sabine runzelte die Stirn und ging allein vor, rüber zu Kip, der mit dem Rücken zu uns dastand. Sie tippte ihm auf die Schulter, und er sagte etwas zu ihr, während er ihr beschützend die Hand auf den Rücken legte. Dann stellte sie sich auf Zehenspitzen, schaute über die Leute vor ihr hinweg, wandte rasch den Blick ab und schlug die Hände vor die Augen.
Als wir näher kamen, verstanden wir auch, warum: Am Boden lag ein Mann in einer Blutlache. Er sah aus, als hätte man ihn einfach aufgeschlitzt. Instinktiv griff ich nach Dantes Hand und drückte sie ganz fest. Sirenen zerrissen die ruhige Morgenluft, und ein Krankenwagen fuhr heran. Zwei Männer in Uniform schossen heraus und warfen ein Laken über den Leichnam. Aber ich hatte genug gesehen: Das war der junge Kerl, den wir gestern Abend zusammen mit Clio auf dem Friedhof beobachtet hatten.
»Den habe ich schon mal …«, sagte ich gerade zu Dante, aber Sabine war schon auf dem Weg zurück zu uns. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich.
»Kip hat mir gerade erzählt, dass er ihn da gefunden hat, als er zur Arbeit kam.« Sie schüttelte den Kopf. »Keiner weiß, wer das ist«, sagte sie mit verschränkten Armen und blickte zu Boden. »Ich
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