Der Ruf des Kolibris
wirklich an. »Jasmin«, sagte er viel zu ruhig, fast kalt. »Ich kann nicht mit euch kommen. Es geht nicht.«
»Aber ...«
»Komm!«, sagte mein Vater.
»Lass mich!«, fuhr ich ihn an.
»Hör auf deinen Vater«, sagte Damián. »Ihr müsst gehen. Und pass gut auf Clara auf. Ich vertraue sie dir an.« Er wich zwei Schritte zurück und machte eine verzweifelt bedauernde Geste. »Leb wohl, Jasmin!«, setzte er leise hinzu. Ein letzter Blick, der mich nicht wirklich sehen wollte, dann drehte er sich hastig um, lief zu seinem Pferd und schwang sich hinauf. Der Trupp von Tano stieg ebenfalls auf. Im wilden Galopp folgten sie dem Weg, den wir gekommen waren, hinauf in die Nebelberge.
»Komm jetzt!«, sagte mein Vater. »Der wird sich schon wieder melden, wenn ihm wirklich was an dir liegt!« Energisch zog er mich zum Hubschrauber.
Einer der Bodyguards kam uns entgegen und nahm die beiden Arztkoffer und Claras Bündel. Die Rotorblätter des Hubschraubers begannen sich zu drehen.
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A ls der Hubschrauber sich knatternd vom Boden erhob und Yat Wala, das große Haus, am See unter uns schrumpfte, zerbrach etwas in mir. Elena und Leandro lachten erleichtert und redeten durcheinander, während in mir etwas starb. Das gab es wirklich. Es machte Knacks in einem drin und auf einmal war nichts mehr so wie vorher. Die Welt hatte andere Farben, die Musik andere Tonarten, die Menschen andere Gesichter. Alle Gefühle waren weg und andere da, die ich noch nicht kannte.
Mein Vater saß vor mir und sah aus wie mein Vater, mit Bart, grauen Augen und Lachfalten, mit dem Ehering an der rechten Hand, erschöpft, aber froh, dass wir entkommen waren, doch meine Gefühle für ihn waren verschwunden: nicht nur mein Zorn, meine Wut, mein Groll, sondern auch das Vertrauen, das ich seit meiner Kindheit für ihn empfunden hatte. Er war ein fremder Mann geworden. Zum ersten Mal sah ich, dass er nicht mehr jung war. Er war ein Mann Mitte vierzig, schmächtig gebaut mit zierlichen Handgelenken und empfindsamen Chirurgenhänden.
Elena umarmte mich und rief: »Gerettet, wir sind gerettet!«
Und ich verstand nicht, warum sie sich freute. Seit dem ersten Tag, den ich aufs Colegio Bogotano ging, war sie meine Freundin. Wir hatten Musiktitel getauscht, waren zusammen ausgeritten, hatten über unsere Mütter geseufzt, die immer überall Gefahren witterten. Wie kindisch! Ich kam mir vor, als ob ich meine Klassenkameradin Elena, die vor zwei Tagen sechzehn geworden war, mit einem Sprung um zehn Jahre an Alter überholt hätte.
War es der Schmerz, der so etwas bewirkte? Ein Verlust, von dem ich annehmen musste, dass er unumkehrbar war? Für immer und ewig. Ich hatte mich in Damián verliebt, ich hatte geglaubt, er empfinde genauso viel für mich. Hatte ich mich getäuscht?
Für Clara hatte er gekämpft, um mich nicht. Nun gut, sie war seine Schwester.
Sie erklärte uns das auf dem Flug so: »Damián hat den traditionellen Stock der Nasas erhoben, das Zeichen der Gewaltlosigkeit und der Furchtlosigkeit. Denn mit dem Stock kann man gegen ein Gewehr nichts ausrichten, und wenn man ihn trotzdem erhebt, zeigt man, dass man den Tod nicht fürchtet.«
So hatte Damián nicht nur Tanos Horde, sondern auch Leandros Bodyguards entwaffnet.
»Sie haben anerkannt«, sagte Clara, »dass er die größere Macht bei sich hat.«
»Was für eine Macht?«, fragte Elena.
»Die Macht von e’shavy .«
Also die des Bären. Das Wort hatte sich mir eingeprägt.
»Ein Indianerzauber!«, rief Elena aus. »Ein Glück, dass ihr an so etwas glaubt. Sonst wären wir wahrscheinlich jetzt tot und ...«
»Nein, Elena«, unterbrach Leandro sie. »Es war kein kultischer Zauber. Es war nicht die Macht des Bären. Das ist nur ein Symbol für ein Talent, das Damián besitzt. Ich habe ihn beobachtet, wie er verhandelt, wie er sich bewegt. Immer ruhig, immer gelassen, immer freundlich und aufmerksam. Ich habe Gewerkschaftsführer gesehen, die hatten auch so ein Talent, und manchmal auch Politiker.«
Vielleicht war es auch nur ein Deal gewesen, dachte ich. Damián blieb bei Tano und seiner Horde, damit Clara mit uns ziehen durfte und eine medizinische Behandlung bekam. Es war ein Opfer.
Unendliche Müdigkeit überfiel mich. Dass man so müde sein konnte! Ich war nahezu unfähig, mich zu bewegen, etwas zu sagen, geschweige denn, ein Gespräch zu führen. Vom Flug bekam ich fast nichts mit. Wie im Nebel zogen die Berge an mir vorbei.
Die Sonne berührte die fernen
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