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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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da sind, werden sie heiß und innig geliebt. Im Leben kommt es oft anders, als man denkt, und das ist meistens keine Katastrophe, sondern ein Segen.«
    »Hm.«
    »Jedenfalls«, fuhr die Britin energisch fort, »haben wir – mein schwarzer Lover und ich – damals auch gedacht: Unsere Liebe überwindet alle Hindernisse. Warum soll das nicht gehen mit uns beiden, auch wenn die Verwandten den Kopf schüttelten?«
    »Wenn man es nicht ausprobiert, dann kann man es nicht wissen.«
    »Richtig, mein Kind! Wir müssen alle unsere eigenen Erfahrungen machen. Du wirst nicht auf mich hören, wenn ich dir sage, dass es auch sehr wehtut, wenn eine Beziehung nach ein paar Jahren scheitert, so wie es alle vorhergesagt haben.«
    »Soll man es darum lassen?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Es könnte ja auch gut gehen. Vielleicht muss einfach jeder Mensch eine unglückliche Liebe auf seinem Lebenskonto haben. Sonst wird er nie wirklich erwachsen. Aber eines würde ich dir gerne sagen, und ich würde mir wünschen, dass du es wenigstens wohlwollend bedenkst ...«
    Ich musste lachen über so viele vorsichtige Formulierungen. »Was denn?«
    »Lass dir und ihm ein bisschen Zeit, Jasmin. Du bist noch jung. Du hast mehr Zeit, als du glaubst. Ihr jungen Leute wollt immer alles gleich entschieden haben, und wenn es heute nicht geht, geht es niemals mehr. Aber es muss nicht alles heute entschieden werden. Die Welt geht nicht unter, wenn ihr nicht gleich zusammenzieht und heiratet. Liebe muss sich entwickeln und bewähren. Es gibt Post, es gibt E-Mail und Telefone und es gibt Flugzeuge. Du kannst in zwei Jahren wiederkommen.«
    »Das habe ich ihm ja vorhin auch gesagt, aber ...« Ich biss mir auf die Zunge.
    Zu spät.
    »So, so!«, bemerkte Felicity. »Also doch! Aber sei so gut und erzähl mir nichts. Ich möchte es nicht wissen. Sag mir nur, ob ich mich womöglich in neun Monaten vor deinen Eltern wegen meiner Vertrauensseligkeit werde rechtfertigen müssen.«
    Mit den Fingern stieß ich in meiner Jackentasche unabsichtlich auf das viereckig eingeschweißte Kondom. »Nein!«, sagte ich. »Keine Sorge.«
    »Gut. Aber was ich eigentlich sagen wollte, Jasmin: Wenn du befürchtest, dass dein Damián in zwei Jahren nicht mehr an dich denkt oder eine andere hat, dann ist es tatsächlich besser, wenn du ihn gleich vergisst.«
    Ich nickte. »Schon klar.«
    »Das klingt noch nicht sonderlich überzeugt, Jasmin.« Felicity hakte sich bei mir unter, denn die Steine waren rutschig. »Was ich sagen will: Irgendwann muss man seinen Verstand wieder einschalten und sich ehrlich ein paar Fragen beantworten.«
    »Welche?«
    »Zum Beispiel, ob du überall mit ihm leben könntest. Auch hier, in diesen Hütten.«
    »Ja«, antwortete ich tapfer, »ich glaube, das könnte ich.«
    »Und würde er auch mit dir nach Deutschland gehen?«
    Ich schwieg.
    »Ah, da steckt ein Problem! Das belastet dich insgeheim und es wird dich immer belasten. Ich sage dir, all diese kleinen Irritationen häufen sich mit der Zeit zu einem riesigen Berg an. Irgendwann hast du das Gefühl, du hättest dein Leben, deine Zukunft und deine Chancen für ihn aufgegeben. Wir Frauen geraten schnell auf diese Schiene! Irgendwann fragen wir uns: Was hat er eigentlich für uns aufgegeben? Und dann fangen wir an, uns über dumme Kleinigkeiten zu streiten. Über Zahnpastareste im Waschbecken und herumliegende Socken und solche Sachen.«
    »Wir sicher nicht!«
    Felicity lachte. Glücklicherweise hatte ihr Lachen keine Ähnlichkeit mit dem metallischen Spottgelächter meiner Mutter, wenn ich ihr mit solchen Sätzen widersprach.
    »Also gut«, sagte die alte Dame freundlich und mitfühlend, »wenn alle vernünftigen Argumente nicht greifen und alles gesagt ist, dann muss es wohl so sein, dass man das Unmögliche versucht. Das ist der Vorteil, den ihr jungen Leute habt. Ihr seid noch nicht so oft gescheitert, ihr habt noch die frische Kraft des Idealismus und dazu ein blindes Selbstvertrauen. Was man wirklich will, erreicht man auch. Irgendwann! Es kostet Zeit, Jasmin, glaub mir! Irgendein Weg findet sich schon, nur ist es vielleicht ein anderer, als du jetzt denkst. Und was dir heute zu Ende erscheint, muss noch lange nicht zu Ende sein. Man sieht sich immer zweimal im Leben! Glaub mir.«
     
    Irgendwie ging der Tag auch herum. In jedem Grabschacht, den wir betraten, in jedem Gasthaus, das wir aufsuchten, erwartete ich insgeheim, Damián in einem versteckten Winkel zu erblicken, darauf

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