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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wartend, dass ich mich davonstehlen konnte, um unser Gespräch zu Ende zu führen.
    Aber ich entdeckte ihn nirgendwo. Er befand sich nicht unter den Männern, die untätig auf den Straßen herumstanden, nicht unter den Museumswächtern, er war nicht unter den Musikern, die uns abends aufspielten, er war nicht unter den Kellnern. Er kam nicht, als ich mich frühzeitig auf mein Zimmer begab. Und er hatte ja recht. Was hatten wir in Wahrheit noch zu besprechen? Es war alles gesagt. Er hing in der Geiselnahme mit drin, und wenn er seine Leute ans Militär verriet, dann würden er und seine Familie sterben. Das waren die Gesetze in diesem fürchterlichen und zugleich so schönen Land.
    Am anderen Morgen erwachte ich mit dem Gefühl, dass wieder etwas in meinem Leben unwiderruflich abgeschlossen war, tot, aus und vorbei. Es gab kein Zurück mehr, vorbei waren die Zeiten, wo ein Fleck auf meinem Ballkleid mich todunglücklich machte.

de

– 37 –
     
    M eine Eltern schauten mich anders an, als ich am Montagabend zurückkam. Sie standen zu meinem Empfang im Flur, zwei unglückliche Menschen, denen ich fremd geworden war. Sie hatten sich sicherlich lange über mich unterhalten und vergingen vor Sorge. Das tat mir leid und ärgerte mich zugleich. Konnten sie mich nicht einfach so sein lassen, wie ich war? Mussten sie mich zum Problemfall machen?
    Felicity hätte zu mir gesagt: »Gib ihnen Zeit. Sie verstehen dich nicht mehr. Du bist nicht mehr die Jasmin, die sie kennen.«
    Ich ermahnte mich zur Geduld.
    »Na, wie war’s?«, erkundigte sich mein Vater. Diesmal klang es nicht nach einer Frage, die Väter stellten, um irgendwie zu würdigen, was das eigene Kind an Erlebnissen mitbrachte. Es klang ängstlich und besorgt. Aber nicht nur das, es klang auch neugierig und ernsthaft interessiert. So als hätte ich ihm was voraus.
    »Schön«, antwortete ich.
    »Möchtest du was essen?«, fragte meine Mutter.
    »Wir haben auf der Fahrt gegessen«, antwortete ich.
    Essen war das Letzte, wonach mir der Sinn stand. Am liebsten hätte ich meine Reisetasche in eine Ecke geknallt und mich aufs Bett geworfen, mir die Kopfhörer auf die Ohren und die Decke bis zum Kinn gezogen und an die Decke gestarrt. Aber meine Eltern erwarteten, dass ich mich nach dem Tasche-Auspacken noch mal blicken ließ und auf Familienleben machte, zumal mein Vater ausnahmsweise mal zu Hause war. Er schien unter seinen Kolleginnen und Kollegen der Einzige zu sein, der Wochenendbereitschaften mit der Familie vereinbaren konnte.
    Da saßen sie in dem Wohnzimmer mit den dunklen Möbeln im spanischen Kolonialstil, dem spiegelnden Granitboden, der im heißen Spanien Kühlung versprochen hätte, im kalten Bogotá aber das allgemeine Frösteln beförderte. Finstere Nacht stand hinter den Fenstern. Und meine Eltern saßen da, mit in den Schoß gelegten Händen und erwartungsvollen Gesichtern. So als hätte ich Erklärungen abzugeben.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    Meine Mutter war wie üblich schneller und undiplomatischer als mein Vater. »Dein Vater und ich«, sagte sie viel zu laut, »wir fragen uns, ob du uns nicht vielleicht etwas mitzuteilen hast.«
    »Ist das hier ein Tribunal oder was?«
    »Nein, und das weißt du!«, sagte mein Vater und versuchte zu lächeln. »Wir machen uns einfach Sorgen, Jasmin. Das musst du verstehen.«
    Immer wenn das Wort »einfach« auftauchte, war es alles andere als einfach, begriff ich plötzlich. Warum konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Weil es nicht einfach war. Warum durfte ich Damián nicht einfach lieben? Weil Liebe niemals einfach war. Und sie machten sich einfach Sorgen. Und das war jetzt mein Problem.
    »Das müsst ihr nicht«, sagte ich, vielleicht etwas zu bissig, »falls ihr euch wegen Damián Sorgen macht ... denn das ist ja wohl das Einzige, was euch interessiert ...«
    »Bitte nicht in diesem Ton, Jasmin!«, rief meine Mutter.
    »In was für einem Ton denn?«, fragte ich schnippisch zurück.
    »Jasmin«, mahnte mein Vater. »Lass uns bitte reden wie erwachsene Menschen.«
    Ich schluckte. Er hatte recht. Ich hatte mich gerade nicht sonderlich erwachsen verhalten, sondern trotzig wie ein Kind. »Okay. Was wollt ihr wissen?«
    »Deine Mutter und ich, wir würden gerne wissen, ob du Damián wiedergesehen hast.«
    »Wann?«, fragte ich irritiert. Wer sollte ihnen von vorgestern Nacht erzählt haben?
    »Also hast du ihn wiedergesehen!«, schloss meine Mutter messerscharf. »Ist dir bewusst, dass du damit unser

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