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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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erzählen sollen?«, fragte mein Vater zurück. »Wir wissen ja nichts.« Er blickte mich mit seinen grauen Augen scharf an. »Du hast uns ja nichts erzählt, und Clara da mit reinziehen, das wollten wir nicht.«
    Ich war erleichtert.
    »Die Polizei wollte von uns wissen, ob wir einen Ort kennen, der Schwarzes Wasser heißt. Ob wir bei unserer Reise am Anfang der Sommerferien dort gewesen seien.«
    »Und, was hast du gesagt?«
    »Was wohl? Ich habe keine Ahnung, wie die Orte hießen, wo wir waren. Ich konnte der Polizei aber immerhin erklären, dass wir keine deutsche Geisel mit Namen Susanne Schuster zu Gesicht bekommen haben, uns aber zeitweilig in den Händen eines gewissen Don Antonio befunden haben. Das wusste die aber schon. Wie es dann komme, wollte der Comisario wissen, dass du behauptest, die Geisel befinde sich an diesem schwarzen Wasser.«
    Ich schwieg. Hatte nun der Professor geredet oder Elena?
    »Und jetzt möchten wir von dir wissen, was Sache ist, Jasmin.«
    »Woher wusste die Polizei denn, dass ich angeblich ... «
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Nein, Jasmin. Nicht wir beantworten deine Fragen, sondern du antwortest auf unsere. Also, raus mit der Sprache. Was weißt du über die deutsche Geisel?«
    Zumindest hatte der Professor meine Eltern nicht angerufen. Sonst hätten sie gewusst, dass ich ihn und seine Karte konsultiert hatte. Graham Torres y Torres musste sich sofort an die Behörden gewandt haben. Wie viel Lüge und wie viel Wahrheit durfte ich erzählen?, fragte ich mich.
    »Ich weiß gar nichts«, erklärte ich. »Clara hat mir von Susanne Schuster erzählt. Sie war Lehrerin in der Gegend, wo sie lebte. Clara hat mir erzählt, dass sie glaubt zu wissen, wo die FARC sie versteckt hält, und zwar an einem Ort namens Schwarzes Wasser. Aber das ist nur eine Vermutung. Und wenn Susanne Schuster jemals dort war, so ist sie jetzt bestimmt nicht mehr dort. Man weiß doch, dass die FARC die Geiseln immer wieder woanders hinbringt.«
    »Ist das alles?«, fragte mein Vater mit großen, mahnenden Augen. »Oder gibt es da noch etwas, was wir wissen sollten?«
    »Na ja«, druckste ich, »ich war in der Uni bei einem Professor Graham Torres y Torres. Er ist Anthropologe und Spezialist für indigene Völker. Ich habe doch im Sommer dieses Lexikon der Sprache der Nasas angefangen, und Mrs Melroy wollte unbedingt, dass ich es ihm zeige. Er hatte eine Karte mit indianischen Ortsnamen, und da haben wir auch geschaut, wo Yu’ cjuch liegt, das ist der einheimische Name für Schwarzes Wasser. Es hat mich halt einfach interessiert.«
    »Und wann warst du bei ihm?«, fragte meine Mutter.
    »Vor einer Woche, am Montag nach der Schule.«
    »Und warum erfahren wir das erst jetzt? Warum sagst du uns so etwas nicht?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Es war im Rückblick nicht mehr zu erklären. Ich hätte schon damals dieselbe Ausrede benutzen können wie jetzt eben. Aber immer noch besser, meine Eltern machten mit meinem Besuch beim Professor herum, als dass sie mir weitere hochnotpeinliche Fragen stellten wie zum Beispiel, ob ich in Tierradentro Damián getroffen hatte.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Aber ich weiß es«, antwortete meine Mutter. »Du hast dich an der Uni mit Damián treffen wollen.«
    »Nein!« Und das konnte ich ohne jedes lügnerische Beiwerk sagen. »Warum auch? Wir hätten uns jederzeit bei Clara im Haus ihrer Großmutter treffen können. Haben wir aber nicht.«
    Mama sah so aus, als leuchtete ihr das ein. »Aber dann verstehe ich wirklich nicht«, sagte sie, fast verzweifelt, »warum diese Heimlichkeiten sein mussten?«
    »Es war blöd von mir«, lenkte ich ein. »Ich war total sauer auf euch. Vor allem auf Papa!« Ich schaute meinen Vater an.
    Er blinzelte leicht verlegen, nickte aber ermutigend.
    »Du weißt, warum«, sagte ich. »Weil du Damián und mich an dem Morgen nach der Nacht auf dem Hochplateau abgekanzelt hast wie zwei Schulkinder. Dabei hatten wir nichts gemacht. Überhaupt nichts! Damián hat mir wirklich nur die Bären gezeigt. Und es war ein ganz tolles Erlebnis für mich. Ich hätte dir sofort davon erzählt. Aber du kamst gleich mit deinen Verdächtigungen. Für Damián musste sich das so anhören, als hättest du was dagegen, dass deine Tochter etwas mit einem Indio hat, und zwar, weil er Indio ist.«
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Ich war vielleicht etwas voreilig. Aber wir hatten uns wirklich Sorgen gemacht. Verschwindest einfach so im Morgengrauen, und keiner

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