Der Ruf des Kolibris
weiß, wo du steckst.«
»Das tut mir ja auch leid«, sagte ich.
»In Ordnung«, nickte mein Vater. »Schwamm drüber.«
»Und ...«, fragte ich. »Wie ... wie geht es jetzt weiter?«
»Wir beide«, antwortete er, »werden in den nächsten Tagen aufs Kommissariat gehen müssen. Du wirst dort eine Aussage zu Protokoll geben. Das mussten wir dem Comisario versprechen.«
Es klang, als sei das die Strafe für das, was ich ausgefressen hatte.
»Und ich hoffe, das war jetzt wirklich alles, Jasmin. Die ganze Wahrheit. Kann ich mich auf dich verlassen?«
Ich nickte.
Der Abend endete damit, dass ich um Entschuldigung bat und mich einsichtig und zerknirscht gab. Dabei fand ich, auch sie hätten einsehen können, dass sie alles falsch gemacht hatten. Statt panisch zu reagieren, weil ich mich verliebt hatte – und zwar nicht in John Green oder einen deutschen Jungen aus meiner Schule, sondern in den Indio Damián Dagua –, hätten sie mit mir reden können, so wie Felicity Melroy es getan hatte. Einfach erst einmal zuhören und dann meinetwegen von ihren Erfahrungen und Enttäuschungen erzählen. Sie hätten mich endlich mal für voll nehmen müssen, statt mit Verboten zu reagieren. Ich war ja schließlich kein kleines Kind mehr. Sie hätten mir ruhig mehr vertrauen können.
Hatte ich nicht selbst eingesehen, dass ich nicht mit Damián zusammen sein konnte, solange die Entführung von Susanne Schuster andauerte? Hätten sie ruhig mit mir gesprochen, hätte ich ihnen bestimmt gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchten, dass Damián und ich etwas Unvernünftiges taten. Aber was ich fühlte und dachte, interessierte sie nicht wirklich. Sie waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
Meine Mutter hatte wieder Migräne. Mein Vater war frustriert, weil sie an den Feiertagen keine Radtour mit ihm gemacht hatte. Auf einmal blickte ich in den Abgrund von Unzufriedenheit und Unglück, der zwischen meinen Eltern klaffte. Liebten sie sich überhaupt noch?, fragte ich mich. Oder träumten beide, jeder für sich allein, von einem ganz anderen Leben? Endeten wirklich alle Ehen, wie Mrs Melroy meinte, in dieser Sackgasse zwischen Bergen angehäufter, aber nie ausgesprochener Frustrationen und Vorwürfe? Und wie konnte man das verhindern?
de
– 38 –
I ch habe nichts gesagt!«, schwor Elena am Dienstag in der Schule. »Ich hätte auch gar nichts sagen können, denn ich habe schon wieder vergessen, wie der Ort hieß, von dem du gesprochen hast.« Das Entsetzen sickerte langsam in ihr Gemüt. »Ist das wirklich wahr? Damián hat Susanne Schuster entführt, er und dieser fürchterliche Onkel Tano! Kann man denn diesen Indios nie trauen? O Gott, wenn ich mir das überlege. Wir waren tatsächlich praktisch in der Höhle des Löwen!«
»Damián hat uns das Leben gerettet, Elena! Schon vergessen?«
»Einen Nutzen wird er davon schon auch gehabt haben«, bemerkte sie.
»Was willst du damit sagen?«, fragte ich erregt.
Die Ankunft des Lehrers unterbrach uns.
Eine Stunde lang dachte ich darüber nach, ob es nicht doch Elena gewesen war, die etwas erzählt hatte, vielleicht ihrer Mutter, und die hatte es dann ihrem Mann erzählt oder irgendeiner Freundin. Doch Elenas Mutter hätte dann sicher sofort meine Mutter angerufen. Also doch der Professor? Oder war John Green noch dabei gewesen, als ich Elena erzählt hatte, ich wüsste, wo die Geisel ist? Nein, definitiv nicht. Aber vielleicht hatte es Elena ihm später erzählt.
»Wie steht es eigentlich mit John und dir?«, fragte ich sie in der nächsten Pause.
Sie zwinkerte mir zu. »Er ist total verknallt in mich, so viel steht fest.«
»Und du?«
Sie zuckte desinteressiert mit den Schultern. Doch ihre Augen glitzerten verräterisch. Ich kannte das von Vanessa. Wenn sie ein bestimmtes Gesicht aufsetzte, so eines, in dem ständig ein Lächeln zuckte, dann war sie verliebt, und ich war regelmäßig für die nächsten Wochen abgemeldet gewesen, genauso wie Simon. Dann hatten Simon und ich auf meinem Zimmer Tee getrunken und über Liebe und Freundschaft philosophiert. Dabei hatte er an Vanessa gedacht und ich an ihn.
»Du bist aber auch ganz schön verknallt, Elena!«, neckte ich sie. »Was macht ihr denn so zusammen? Was hast du ihm erzählt?«
»Worüber?«
»Über dich, über uns, über Damián?«
»Nichts! Was hätte ich ihm erzählen sollen?«
Sie hatte recht. Was hätte sie ihm erzählen können, was nicht jeder wusste? Susanne Schuster war im Cauca
Weitere Kostenlose Bücher