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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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darin sehen würde –, dann hätte ich das sicher nicht gesagt. Und ich hätte auch nicht dabei spöttisch die Brauen hochgezogen. Er musste es so verstehen, als spielte ich auf die Tatsache an, dass auch er sich als Gärtner im Besitz meiner Uhr befunden hatte, wenn auch nur für ein paar Stunden.
    Ein Schatten fiel auf seine Züge.
    »Wir Indígenas sind alle Diebe«, erwiderte er. »Das weiß man ja.«
    Jetzt hätte ich unbedingt fragen müssen, was er hier machte. Aber ich wusste nicht, wie ich das tun sollte, ohne durchblicken zu lassen, wie erstaunt ich war, einen Gärtner und Hausmeistergehilfen beim größten gesellschaftlichen Ereignis von Bogotá im Smoking zu sehen. Ich überlegte zu lange.
    Damián verbeugte sich leicht und sagte: »Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.«
    Damit wandte er sich um und verließ den Gang durch die Tür zum Vestibül, zu der eben auch die ältere Dame hereinkam, die mir mit meinem Fleck hatte helfen wollen. Sie stießen fast zusammen. Er entschuldigte sich, sie blickte ihn nur kurz an und wandte ihren Blick rasch ab.
    »Was wollte der von dir?«, war ihre erste Frage, als sie bei mir an der Tür ankam.
    »Wer?«
    »Na gut. Komm, Kindchen, ich habe Fleckenwasser. Ein richtiges Zaubermittel. Ich wusste doch, dass meine Freundin immer was dabeihat für solche Fälle. Es hat leider ein bisschen gedauert, bis ich sie gefunden habe. Dann schauen wir mal.«

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– 7 –
     
    D ie Dame hieß Felicity Melroy, war verwitwet, lebte seit fünfzig Jahren in Bogotá und vollbrachte Wunder. Sie neigte zum Spötteln, war aber, wie mir schien, eine zupackende und herzliche Frau. Als sie ein junges Mädchen war, erzählte sie, seien ihr auch immer solche Missgeschicke passiert. Immer wieder habe sie mit rotem Kopf dagestanden, bis sie sich entschlossen habe, es von der komischen Seite zu nehmen.
    »Meinen Mann hätte ich überhaupt nie kennengelernt«, erzählte sie, während sie meinen Fleck mit einem Taschentuch aus ihrer Handtasche abrieb, »wenn mir nicht ein Depp die Stola angezündet hätte – er ist später irgendwo Präsident geworden, ich glaube in Bolivien – und mein späterer Mann die Flammen mit seinem Jackett gelöscht hätte. Meine Haare waren auch angesengt, aber wir haben uns halb totgelacht. Es ist alles zu was gut. So, und jetzt gehen wir erhobenen Hauptes in den Saal.«
    Ich hielt nach Damián Ausschau, konnte ihn aber nicht finden unter den gut zweihundert Menschen an den zwanzig Tischen unter den Kronleuchtern. Überdies eilte bereits das Dienstpersonal zwischen den Tischen umher und verteilte die Vorspeisen. Ich bin sicher, Damián sah mich, denn wer wollte, sah uns eintreten. John nickte mir freundlich lächelnd zu, als wir seinen Tisch passierten. Ich sah Elena zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter, aber keinen Indio im Smoking. Und jemand winkte hektisch vom anderen Ende des Saals und rief: »Hier, Jasmin!« Es war meine Mutter. Jetzt wussten auch alle, die es wissen wollten, wie ich hieß.
    »Das hat aber lang gedauert«, bemerkte meine Mutter, als ich mich endlich setzte.
    »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du die Reden verpasst hast«, sagte mein Vater.
    Bei uns am Tisch saßen der Direktor der Klinik San Vicente mit seiner Frau, außerdem Claudia Aldana, die Direktorin des Colegio Bogotano, mit ihrem Mann und der Pfarrer mit seiner Frau, ein Industrieller, zwei alte Damen und ein Mann, dem der schwarze Anzug nicht richtig passte und der mit einer Kamera mit Teleobjektiv ausgerüstet war. Er war der Reporter von El Tiempo , der Tageszeitung von Bogotá.
    Das Essen sah aus und schmeckte, als hätten kolumbianische Köche nach Kochbuch englisch kochen müssen. Es war eine Mischung aus grünen Erbsen, Lammfleisch, Chips und Chilisoße. Als Beilage gab es Maniok, Reis, Avocados und Süßkartoffeln. Es war schaurig. Und es war auch unendlich langweilig. Elena saß Kilometer von mir entfernt. Mein Vater war missgestimmt, denn Präsident Uribe hatte sich entschuldigen lassen. Wichtige Amtsgeschäfte. Er hatte die Kommunikationsministerin mit dem fantastischen Namen Maria del Rosario Guerra de la Espriella geschickt. Ich war auch nicht sonderlich gut drauf. Denn so sehr ich auch den Hals verrenkte, was zudem nicht zu sehr auffallen durfte, ich sah Damián nirgendwo.
    Nach den üblichen Fragen der Tischnachbarn meiner Eltern, wie mir das Land gefalle und was ich mal werden wolle, blieb ich mir selbst überlassen und begann, mir darüber

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