Der Ruf des Kolibris
ich ihn?«
»Hör auf! Ich wollte nur mal kurz ... Ich meine, der Blick von hier oben ist wunderbar. Und wann hat man schon mal die Gelegenheit, hier heraufzukommen, nicht wahr?«
Ich musste all meine Selbstbeherrschung aufbieten, damit ich mich nicht umdrehte, um zu schauen, was Damián machte. Blieb er in seiner Ecke, wartete er, schlich er sich davon? Es war zu albern und irgendwie völlig absurd. Was für einen Grund gab es denn, dass wir aus unserer Beziehung ein Geheimnis machten? Aber war es denn schon eine Beziehung? Und was für eine? Was hatte er mir wirklich sagen wollen? Was für ein Geheimnis hütete er?
Am liebsten wäre ich augenblicklich umgekehrt. Aber schon befand ich mich in der Gefangenschaft einer gut gelaunten und unbeschwerten Gesellschaft, die mich nicht entlassen würde, wenn ich nicht eine sehr gute Begründung lieferte. Wie hasste ich diesen Ball! Und dennoch konnte ich ihn nicht wirklich hassen, hatte er mir doch nicht nur peinliche, verzweifelte und unglückliche Momente beschert, sondern etwas, womit ich in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hatte, nicht hatte rechnen können, auch wenn ich die ganze Zeit nur an Damián gedacht hatte. Ich hatte nicht ahnen können, dass wir uns heute hier küssen würden und sich mein Leben in diesem Moment total verändern würde.
»He!«, rief Elena. »Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja«, sagte ich. »Wir ...« Ich versuchte mich zu erinnern, was sie mir gerade erzählt hatte. Es war in meine Ohren gerauscht, ohne in meinem Bewusstsein Platz zu finden. »Die Smaragdmine ... du ... hast gesagt, dass ...«
»Ich sagte, in drei Wochen geht es los, am ersten Ferientag. Und dein Vater kommt mit und du auch! Mein Vater wird deinem Vater bei seiner mobilen Krankenstation helfen. Ist das nicht super? Wir können zusammen meinen Geburtstag in Inza feiern. Und ich bekomme endlich meinen Smaragd!«
Elena wedelte vor meinen Augen mit ihren Fingern, an denen sie jede Menge silberner Ringe stecken hatte. »Mein Vater hat es versprochen: Zu meinem sechzehnten Geburtstag, Sonntag in drei Wochen, kriege ich ihn. Ich glaube, ich werde wahnsinnig bis dahin.«
»Wirst du schon nicht!«
Dass Elena zu ihrem sechzehnten Geburtstag ihren ersten großen Smaragd geschenkt bekommen würde, hatte sie mir schon ein halbes Dutzend Mal erzählt. Die höheren Weihen des Erwachsenwerdens in Gestalt eines wertvollen Edelsteins waren derzeit ihr größtes denkbares Glück. Letzte Woche hatte ich ihre Hoffnungen auf einen schönen Stein noch mit ihr geteilt. Wenn ich mit Elena eine Smaragdmine besichtigte, hatte ich insgeheim gedacht, dann würde Elenas Vater sich sicher nicht lumpen lassen und auch mir einen kleinen Stein schenken. Er saß ja an der Quelle, Smaragde waren ein typisches Souvenir aus Kolumbien. Doch nichts schien mir jetzt so belanglos wie ein Schmuckstück. Seit ein paar Minuten lag mein Glück woanders, kilometerweit von Elenas unbeschwert und heiter funkelnden Welt entfernt und zugleich nur ein paar aufregende Meter weit weg hinter der Stellwand der Cafeteria. Aber das musste sie jetzt nicht wissen, zu sehr war sie in ihrer eigenen Begeisterung gefangen.
Offenbar hatte mein Vater sich mit Leandro Perea verständigt, dass wir alle zusammen eine seiner Smaragdminen in den Bergen besuchen würden. Mama würde nicht begeistert sein.
Und ob ich wirklich mitwollte, wusste ich im Moment auch nicht. Es hing davon ab, was Damián ... Ich stoppte meine Gedanken. Es machte mir ein bisschen Angst, dass ab heute alles von Damián abhing. Vielleicht würde er auch Ferien haben, wenn unsere Schulferien begannen, und dann konnte er uns ... Ich stoppte meine Gedanken erneut. Ausgeschlossen, dass Damián uns auf unserer Reise zur Smaragdmine in Inza, wo auch immer das lag, begleiten würde. Er hatte vorhin nicht gerade freundlich über Leandro Perea gesprochen, den Gran Guaquero, den Großen Schatzgräber.
Viel wichtiger war es, dass ich meine Eltern überredete, in den Cauca zu reisen, die ärmste Provinz des Landes. Ihre Hauptstadt Popayán wurde immerhin in jedem Reiseführer als sehenswert angepriesen. Dort konnte Damián uns ... Ich bremste mich wieder. Langsam! Hatte er mir nicht gerade eben zu verstehen gegeben, dass wir noch weit davon entfernt waren, dass ich anfangen konnte, sein und mein Leben zu verplanen? Hatte er sich nicht im Grunde von mir getrennt, bevor es richtig angefangen hatte?
Mir wurde erneut übel. Alles drehte sich. Was hatte er
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