Der Ruf des Kolibris
Elena ängstlich.
Leandro zuckte wieder mit den Schultern.
»Nichts«, antwortete mein Vater beruhigend. »Was sollen sie mit uns schon vorhaben? Wir sind hier nicht im Urwald.«
»Aber fast«, sagte Elena. »Ich habe Angst!«
Wir hielten eine Weile Kriegsrat und kamen überein, dass wir versuchen würden zu schlafen, so gut es ging, wenn möglich in frischer Bettwäsche, die Leandro zu organisieren versprach, und dass wir uns morgen mit kaltblütigen Mienen in die Stadt zum Uhrenturm fahren lassen würden, um dort auf Damián zu warten, natürlich vergeblich. Daraus, dass er nicht kommen würde, würde Antonio uns keinen Vorwurf machen können. Es wäre kein Beweis, dass wir ihn angelogen hatten. Und dann würde Antonio uns hoffentlich in Ruhe lassen. Schließlich konnte er uns mitten in der Stadt nicht mit Waffengewalt wieder ins Auto zwingen. In Kolumbien standen auf allen Plätzen gut bewaffnete Polizisten.
Ich hatte schon, als Elena und ich in unser Zimmer gingen, das Gefühl, dass es ganz anders kommen würde. Es war ein seltsames Gefühl der Ruhe und Neugierde, das ich mir nicht erklären konnte. Elena plapperte aufgeregt vor sich hin, auch als wir in den frisch bezogenen Betten lagen. Sie redete sich die Angst weg. Ihr Vater werde eine Lösung finden, die Bodyguards, die wir zurückgelassen hatten, würden uns retten, die Armee würde helfen. Uns würde nichts geschehen, und wenn wir entführt würden, dann würde Papa eben Lösegeld zahlen. Alles würde gut. Und irgendwie schien sie der Ansicht, dass das alles heute oder morgen erledigt sein würde, damit sie an ihrem Geburtstag in Inza war und vom Vater ihren Smaragd überreicht bekam. Na, wenn das ihre größte Sorge war, dachte ich und wunderte mich wieder über meine große innere Ruhe.
Ich hatte keine Angst, obwohl ich glaubte, unsere Lage ganz klar zu sehen: Wir waren Geiseln von Antonio und seiner Bande. Sie waren irgendeine Splittergruppe der FARC. Dieser Major Antonio war nicht dumm. Er hatte mein Manöver vermutlich durchschaut. Vermutlich wusste er auch, wer Leandro wirklich war. Doch wenn er uns als Geiseln hätte nehmen wollen, hätte er uns sicherlich nicht hierher in die Stadt gebracht. Er musste irgendetwas anderes vorhaben. Ich wusste nur nicht, was.
Ich versuchte, nicht an Kakerlaken, Läuse und Flöhe zu denken, und schlief über Elenas Gerede schließlich ein.
Morgens um acht erschienen Major Antonio und sein Fahrer wieder in unserer Herberge. Wir saßen schon beim Frühstück, das aus Tamales bestand, Maisteig, der mit Fleisch und Gemüse gefüllt und in einem Maisblatt gegart worden war. Außerdem gab es Obst und Kaffee.
»Ich fahre Jasmin jetzt in die Stadt«, verkündete Antonio.
»Und wir?«, erkundigte sich mein Vater.
»Ihr bleibt hier, bis wir mit Damián zurückkommen.«
»Ich werde meine Tochter begleiten«, verkündete Papa. »Sie ist erst sechzehn. Außerdem bin ich der Arzt. Was sollen wir hier herumsitzen und warten, wenn Damiáns Schwester unsere Hilfe braucht. Vielleicht ist es eilig.«
Aber Antonio ließ nicht mit sich reden.
»Sind wir denn eure Gefangenen?«, fragte mein Vater schließlich.
»Es ist nur zu eurer eigenen Sicherheit«, verkündete der Major, der an diesem Morgen in Zivil steckte. »Hier gibt es viele Gruppen, die gegeneinander kämpfen. Und wir wollen doch sicherstellen, dass dieses Treffen mit Damián zustande kommt.«
»Unsinn«, entfuhr es Leandro. »Popayán ist eine Touristenstadt. Uns kann nichts passieren, wenn wir uns im Zentrum aufhalten.«
Antonio überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Na gut, dann will ich es ganz deutlich sagen. Damián gehört unseren Informationen nach zu einer Gruppe, die einige Menschen in den Bergen im Urwald als Geiseln hält und nur gegen viel Geld freilässt. Sie sind Arzt, Don Markus, Sie denken darüber nicht nach. Sie wollen helfen. Und Sie glauben, dass die Ihnen dankbar sind und Sie und Ihre Tochter und Ihre Freunde wieder nach Popayán zurückbringen werden. Aber was, wenn das nicht so ist? Was, wenn die Guerilleros Sie dort behalten, weil ihnen ein Arzt fehlt? Und das möchte ich verhindern. Es wäre doch schade, wenn Ihre reizende Tochter und deren Freundin die nächsten Jahre im Urwald verbringen müssten und Ihre Ehefrauen sich vor Angst und Sorge verzehrten.«
Mein Vater und Leandro wechselten einen kurzen Blick. »Dann müssen wir das wohl glauben«, sagte mein Vater auf Deutsch.« Und auf Spanisch fügte er an: »Und welche Garantie
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