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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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habe ich, dass Sie mir meine Tochter gesund wiederbringen?«
    »Sie haben mein Wort!«, warf sich Antonio in die Brust. »Ich werde Ihnen Ihre Tochter Jasmin unversehrt wiederbringen.«
    Vielleicht hätte mein Vater einen größeren Aufstand gemacht, wenn Leandro, der sich mit den Gegebenheiten in seinem Land besser auskannte, nicht so passiv gewesen wäre. Die Frage war ja, was passiert wäre, wenn wir alle entschlossen die Herberge verlassen hätten. Hätten sie uns niederschießen wollen? Zumindest hätten sie dann offen zeigen müssen, dass wir uns in ihrer Gewalt befanden. Oder glaubten Leandro und mein Vater wirklich, dass dies alles zu unserem eigenen Schutz war?
    »Wie kann ich mit meiner Tochter Kontakt halten?«, machte mein Vater einen letzten Versuch.
    Antonio blickte ihn erstaunt an.
    »Ich möchte ein Handy, und ich möchte, dass sie auch eines hat, damit wir miteinander telefonieren können.«
    »Ich habe ein Handy«, sagte Antonio. »Und meine Männer haben die Nummer. Hier gibt es ein Telefon. Sie können uns anrufen, wann immer Sie möchten.«
    Popayán gefiel mir sofort. Es war eine überraschend große, lang gestreckte Stadt. Früher einmal hatte man die Häuser weiß gekalkt, um Seuchen zu unterbinden. Deshalb erstrahlten bis heute die teils vierhundert Jahre alten Häuser in gleißendem Weiß und man nannte die Stadt auch »La Ciudad Blanca«, die Weiße Stadt. Die Fassaden waren so hell, dass ich die Sonnenbrille brauchte. Es war deutlich wärmer als in Bogotá und es regnete nicht.
    Antonio stellte das Auto in einer Straße ab und brachte mich zu Fuß in die Innenstadt. Er zeigte mir eine Bar in einer Gasse, die auf den Platz mündete, und verkündete, er werde dort warten. So kam es, dass ich ganz allein den Platz betrat, an dessen einer Seite sich schneeweiß mit ihren Säulen und der weißen Kuppel die Kathedrale erhob. Am rechten Ende der weißen Fassade stand der breite, aber nicht sonderlich hohe viereckige Turm mit der Uhr, der einst gebaut worden war, um die Kathedrale abzustützen.
    Auf den Straßen um den Caldas-Park und in der grünen Insel der Gummibäume und Denkmäler befand sich allerlei Volk, darunter viele Rucksacktouristen. Außerdem standen Uniformierte herum, Polizisten mit Pistolen und Maschinengewehren.
    Ich hatte noch eine gute halbe Stunde bis zehn Uhr, dem fiktiven Datum meiner Verabredung mit Damián, also Zeit, zu überlegen, was ich tun würde, wenn Damián nicht erschien. Und dass er nicht erscheinen würde, war sicher. Es war ja alles eine Erfindung von mir gewesen. Dennoch war ich so erregt, als würde ich ihn gleich sehen. Ja, es schien mir fast gewiss, dass er erscheinen würde. Ich hätte meine eigene Notlüge gern geglaubt, ja ich glaubte sie fast.
    Aber tatsächlich würde ich gegen Mittag dem Major Antonio erklären müssen, warum Damián nicht erschienen war. Vielleicht hatte er sich im Tag geirrt, war aufgehalten worden, hatte sich anders entschieden, war in einen Hinterhalt geraten und verletzt oder tot ...
    Alles, bloß das nicht!, dachte ich und rief mich zur Ordnung. Wenn mein Treffen Erfindung war, war auch alles andere reine Fantasie. Ich musste hier nur zwei Stunden warten und dann Major Antonio in der Bar in der Gasse aufsuchen und mitteilen, Damián sei nicht gekommen.
    Ich schlenderte an der Kathedrale entlang und durch den Parque Caldas. Die Sonne wärmte mich. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit, mit Damián in Verbindung zu treten, überlegte ich. Überall standen Frauen und Männer mit Handys herum, die »Minutos a celular« anboten, Handyminuten. Aber Geld hatte ich keines. Allerdings musste ich auch gar nicht telefonieren. Denn hier befand sich ja das Büro des Consejo Regional Indígena del Cauca, kurz CRIC. Und hatte nicht Mama Lula Juanita gesagt, Damián habe ein Treffen der Indígenas zu organisieren? Sicher konnte mir ein Einheimischer sagen, wo sich das Büro befand.
    Als ich für die Schule mein Referat über Popayán schrieb, hatte ich gelernt, dass blaue kittelartige Hemden und Ponchos zur traditionellen Tracht der Bauern aus dem Cauca gehörten. Die Männer trugen außerdem Strohhüte, die Frauen schwarze Bowler. Entlang des Parksaums saßen Schuhputzer und Händler, die Teile dieser Tracht trugen, und verkauften Wassereis, Raspado genannt, weil es geraspelt wurde, Postkarten, Pullover, Töpferware und Krimskrams. Ein Alter erklärte mir bereitwillig, wo sich das Büro des CRIC befand. Es war nicht weit. Das Büro war im

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