Der Ruf des Kolibris
dann orangerot und schließlich violett. Was für einen Aufwand die Natur doch trieb, dachte ich, was für Farben! Und für wen? Wir Menschen wussten es zu schätzen, unseren Augen und Sinnen tat es gut. Doch auch wenn es uns Menschen nicht gegeben hätte, dann hätte die Natur das Schauspiel veranstaltet. Für nichts und niemanden.
Damián verließ unser Lagerfeuer und schaute nach den Pferden. Leandro nahm sein Satellitentelefon und rief seine Bodyguards an, die in Popayán auf Anweisungen warteten, wo sie uns mit dem Hubschrauber auflesen konnten. Dann rief er seine Frau Sandra an und gab sie an Elena weiter. Ich überlegte, ob ich unauffällig aufstehen und nach Damián schauen gehen konnte. Aber jetzt übergab Leandro das Handy an meinen Vater, der Mama anrief. Also musste ich bleiben und warten, bis er das Telefon an mich weiterreichte. Mama klang nach Migräne, wie ich gleich an ihrer Stimme hörte.
Sie erzählte, dass John Green nach mir gefragt und dass Felicity Melroy angerufen habe, um mich zu einem Ausflug einzuladen. »Aber du bist ja nicht da.« Es klang vorwurfsvoll. Plötzlich wusste ich, dass meine Mutter tief unglücklich war. Nur meinem Vater zuliebe war sie nach Kolumbien mitgekommen. Und jetzt sehnte sie sich nach Zuhause, wo sie aber auch nicht wirklich glücklich war. Ich glaube, für meine Mutter war das Glück immer dort, wo sie gerade nicht war. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich ganz deutlich, dass die Ehe meiner Eltern keineswegs so perfekt und harmonisch war, wie ich es in meiner kindlichen Naivität bis jetzt angenommen hatte.
Mein Vater blickte auch nicht sonderlich froh drein, als ich ihm das Telefon zurückgab. Er sah aus, als hätte meine Mutter ihm das kleine Abenteuer vermiest, das er genoss.
Als wir mit diesen bescheuerten Telefonaten durch waren, war auch Damián wieder da. Wir richteten uns für die Nacht, so gut es ging, mit Decken und unseren Regencapes auf dem Boden unterm Dach der Hütte ein.
»Ganz schön anstrengend, dein Damián«, wisperte Elena mir ins Ohr, als wir nebeneinander ausgestreckt lagen.
»Er ist eben kein Dummkopf!«, antwortete ich.
»Aber warum macht er so ein Geschiss um diese albernen Bärenkratzer? Ich habe doch gar nicht behauptet, dass er ein primitiver Indio ist. Wie kann man nur so empfindlich sein! Solange die Indígenas sich immer gleich wegen ihrer Herkunft benachteiligt sehen, kommen sie nie weiter, das sagt auch Papa. Ihnen fehlt es an Selbstbewusstsein und Biss.«
»Aber du bist gar keine Rassistin, was, Elena?«, raunte ich bissig zurück.
»Nein, bin ich nicht!«, zischelte sie zurück. »Aber es gibt einfach Unterschiede in der Mentalität.«
Ich lag noch eine ganze Weile mit offenen Augen und dachte nach. Auch meine Eltern hätten jederzeit den Vorwurf von sich gewiesen, sie hätten irgendwelche Vorurteile gegen Schwarze, Indios oder Türken. Meine Eltern waren keine Rassisten. Natürlich nicht. Menschen anderer Hautfarbe waren nicht weniger wert, das nicht. Aber auch sie hatten von der anderen Mentalität und kulturellen Unterschieden gesprochen, als ich ihnen eröffnet hatte, dass ich Damián heiraten würde. Es war zwar total peinlich, wenn ich mich an die Szene erinnerte, aber ich wusste seitdem, dass meine Eltern nicht so vorurteilsfrei waren, wie sie immer getan hatten. »Willst du künftig wie eine Wilde im Urwald leben, ihm fünf Kinder zur Welt bringen und Lamas hüten?«, hatte meine Mutter gefragt.
Inzwischen hatte ich die Hütte in den Bergen am Bach gesehen, wo Damián herkam. Natürlich wollte ich dort nicht leben. Nicht mein ganzes Leben lang. Doch das stand ja gar nicht zur Debatte. Damián wollte es auch nicht. Und im Gegensatz zu mir hatte er bereits das Abitur und studierte.
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– 23 –
E twas weckte mich. Es war noch dunkle Nacht. Ich musste mich erst orientieren, wo ich war. Ich lag in der Hütte auf einem Plateau in den Nebelbergen. Wir schliefen aufgereiht nebeneinander, ich ganz außen. Elena atmete tief auf meiner rechten Seite, aber an meiner linken, dort wo eigentlich nur Wand hätte sein dürfen, war auch jemand.
»Jasmin!«, hörte ich es flüstern. Kräftige warme Finger schlangen sich in die meiner Hand. So fühlte sich nur Damián an. »Komm!«, wisperte er.
Ich krabbelte von meinem Lager. Damián zog mich hinter die Seitenwand der Hütte.
Im Osten zeigte sich bereits der erste Hauch des Morgenlichts.
»Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte Damián. »Wenn du willst.«
»Ja!«,
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