Der Ruf des Kookaburra
Schritte vom Zaun des Hauses entfernt, konnte er sie gut beobachten. Mrs Crusius gestikulierte, zeigte hierhin und dorthin und redete wie ein Wasserfall.
Birrinbirrin neben ihm ließ ein gereiztes Brummen vernehmen. Birwain wusste, dass der junge Mann nicht nur in seinem Stolz verletzt war, weil man ihnen den Zutritt zum Haus verwehrt hatte, sondern er konnte es auch kaum erwarten, das gesamte Gelände nach dem D’anba abzusuchen. Birrinbirrin gierte danach, Oskar Crusius zu finden, wollte er sich doch endlich beweisen und jemanden bestrafen – dafür, was aus ihnen allen geworden war.
Das Problem war nur: Ein D’anba ließ sich nicht bestrafen.
Birwain hoffte, dass er sich wenigstens töten ließ. Ob die Kraft der Marmbeja, mit der Birrinbirrin und er sich während des Wanderrituals aufgeladen hatten, ausreichen würde? Sicher war Birwain sich dessen nicht.
Auch wenn Birrinbirrin und Birwain es nicht gewagt hatten, sich weitläufiger auf dem Gelände umzusehen, waren sie doch nicht untätig geblieben: Sie hatten sich mit einem verängstigt wirkenden Schwarzen unterhalten und dabei Interessantes erfahren. Nicht nur, wozu die einzelnen Gebäude, Ställe und Hürden dienten, wer in ihnen ein und aus ging und wo es eher einsam war – wo man also am ehesten jemanden gefangen halten konnte. Sondern auch, wie der von Rosie erwähnte Schwarze ausgesehen hatte, der vor wenigen Wochen hier aufgetaucht war und um Obdach gebeten hatte.
Die Beschreibung passte so gut, dass Birwain keinen Zweifel mehr hegte, dass es sich bei dem Bittsteller um Dayindi gehandelt hatte. Oskar hatte kurzen Prozess mit ihm gemacht: Hinter dem Cottage des Aufsehers hatte er Dayindi erschossen.
»Und niemand hat versucht, ihm zu helfen?«, hatte Birrinbirrin geschockt gefragt.
Der Schwarze hatte den Kopf geschüttelt. »Wer aufbegehrt oder sich beschwert oder sich davonmachen will, dem schießt der Herr ins Knie. Erst danach entlässt er ihn aus seinen Diensten. Und jetzt sagt mir: Wie soll man da draußen überleben, wenn man allein und verkrüppelt ist? Zumal es auf den anderen Stationen auch nicht besser für uns aussieht.« Bitter hatte er hinzugesetzt: »Glaubt mir, euer Freund hatte nicht das schlechteste Schicksal. Sein Tod kam wenigstens schnell.«
Birwain beobachtete, wie die drei Weißen zum Scherbereich schlenderten. Er bemühte sich, ruhig zu atmen, während ihm die Worte des resignierten Schwarzen im Kopf herumgingen. Ein Freund war Dayindi zwar nicht mehr gewesen; für den Clan war er bereits gestorben, noch bevor Oskar seinen Körper getötet hatte. Was Birwain jedoch zu schaffen machte, waren die grenzenlose Macht und die brutale Gewalt, die Oskar Crusius über die Menschen hier besaß. Nicht nur über Dayindi, sondern über all die schwarzen Männer und Frauen, die Oskar sich für die groben, niederen Arbeiten hielt und die beim Wäschewaschen, bei der Schafschur und beim Lammen helfen mussten. Sie alle gehörten, wie auf so vielen Stationen, nach Ansicht ihrer Herren eher zum Vieh denn zur Klasse der Bediensteten; entsprechend wurden sie behandelt.
Freilich, keine Fessel hielt sie gefangen, so gesehen waren sie frei. Das verzweifelte Bedürfnis jedoch, irgendwie zu überleben, auch wenn die alten Clans zerschlagen waren, war offensichtlich wirkungsvoller als die dicksten Kerkermauern. Die faktische Rechtlosigkeit der Schwarzen tat ein Übriges, wurde selbst mörderisches Vorgehen seitens der Herren doch so gut wie nie geahndet. Es war, dachte Birwain schmerzerfüllt, zum Verzweifeln.
Und da erkannte er es.
Wie ein Blitzschlag durchfuhr es ihn: Die D’anba waren gar nicht nur über seinen eigenen Clan hergefallen!
Sie waren überall!
Unbemerkt hatten sie sich ausgebreitet, hatten sich in jeden Winkel des Kontinents geschlichen und die Seelen der Weißen besetzt. Sie hatten sich mit den neuen Verhältnissen arrangiert und profitierten gar von ihnen. Die D’anba wohnten auf jeder Station, nahmen sich die Weißen, wurden die Weißen. Waren jedes Mal am Werk, wenn schwarze Menschen wie Tiere gehalten wurden, wenn sie abgeschlachtet wurden wie Rinder, vergiftet wie Ratten, verkrüppelt wie Dingos, mit den Krankheiten der Weißen verseucht, vom Land der Ahnen verjagt.
Wir können sie nicht besiegen, niemals. Es sind zu viele.
Vor Birwains Augen flimmerte es.
Die D’anba hatten schon gewonnen, bevor der Clan auch nur daran gedacht hatte, das Wanderritual abzuhalten. Die Erkenntnis zerriss Birwain beinahe das Herz.
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