Der Ruf des Kookaburra
organisiert, Sir.«
Mrs Crusius hatte milde gelächelt, und John hatte die Gelegenheit genutzt, auch den zweiten storekeeper ins Gespräch einzubeziehen, der bisher stumm danebengesessen und seinen Hut in den Händen gedreht hatte. Dies war der Moment gewesen, da Emma sich mit der Hand Luft zugefächelt und darum gebeten hatte, man möge sie entschuldigen. Nein, begleiten brauche sie niemand; ein ausgedehnter Spaziergang sei gewiss imstande, ihre brachliegenden Lebensgeister wieder zu wecken.
Wie lange John die storekeepers wohl noch festhalten konnte?, fragte sie sich jetzt bang. Zum ersten Mal war Emma froh darum, dass den jungen Engländer stets eine Spur von Arroganz umwehte, ein unverkennbares Zeichen der herrschenden Klasse. Seinen Wünschen widersetzte sich niemand so leicht, weder in der Stadt noch auf einer gottverlassenen Schafstation wie dieser hier.
Emma zwang sich, Princess nicht noch härter anzutreiben, schleppte das arme Pferd doch außer ihr selbst noch zwei Reiter und war mit dieser Last trotz der kurzen Strecke spürbar überfordert. Hinter Emma hockte Birwain, an diesen wiederum klammerte sich Birrinbirrin, der stete Gefahr lief, den Pferdehintern hinabzurutschen.
»Haltet aus, ihr beiden«, sagte sie über die Schulter zu ihren Freunden. »Wir sind gleich da. Der riesige Schuppen dort vorn muss es sein.«
Kurz darauf zügelte Emma ihre schweißnasse Stute, und sie saßen alle drei ab. Princess schnaubte und schüttelte den Kopf, weiße Schaumflöckchen stoben durch die Luft. Achtlos wischte Emma sich über die feuchte Wange. In Gedanken stand sie schon im Warenlager und suchte nach Carl.
Fand ihn.
Tot?
»Lasst uns reingehen.« Plötzlich fühlte Emma sich, als habe sie zentnerschwere Glieder. Sie fürchtete sich vor dem, was sie im Inneren dieses harmlos aussehenden Schuppens vorfinden würde; fast ebenso sehr fürchtete sie, dass sie gar nichts fände.
Bevor ihre widersprüchlichen Gefühle sie vollkommen lähmen konnten, setzte sie sich in Bewegung.
Das Warenlager war nicht verriegelt. Ein schlechtes Zeichen, dachte Emma: Vor Dieben brauchte man sich zwar kaum zu fürchten, gehörte doch alles Land weit und breit der Familie Crusius. Doch wer würde ein Gefängnis offen stehen lassen? Schließlich schoben die storekeepers nicht Tag und Nacht Wache! Emma sank der Mut.
Ein durchdringender Geruch nach Schafstall schlug ihr entgegen, als sie mit Birwain und Birrinbirrin ins Halbdunkel trat.
»Carl?«
Keine Antwort.
Die Fensterläden des Schuppens waren geschlossen, lediglich die nun offen stehende Tür ließ einen Streifen Licht herein. Emma erkannte, dass der scharfe Geruch von den zahllosen Ballen Rohwolle herrührte, die im vorderen Teil des Schuppens eingelagert waren. Sie bemühte sich, flach zu atmen, und drang mit klopfendem Herzen tiefer in das Lager ein. Nach der grellen australischen Frühlingssonne gewöhnten sich ihre Augen nur schwer an die Düsternis. Sie stolperte über einen Haufen alter Säcke und rappelte sich fluchend wieder auf.
»Carl!«, rief sie laut.
Birwain hinter ihr murmelte: »Er muss hier sein, er muss. Wenn wir ihn hier nicht finden, finden wir ihn nirgendwo.«
Emma schluckte hart; Birwain hatte ihre größte Angst in Worte gefasst.
Langsam schritt sie weiter, suchte konzentriert die Wollreihen links und rechts von sich ab. Je weiter sie sich von der Schuppentür entfernte, desto dunkler wurde es, doch Emma wagte es nicht, die Läden zu öffnen. Die Wolle wurde von grob gezimmerten Holzregalen abgelöst, in denen Körbe, Fässer und Kisten lagerten. Hier hinten schien man die Gebrauchsgüter aufzubewahren, die von den Fuhrmännern auf Vorrat angeliefert wurden und von denen die Stationsbewohner wochenlang leben mussten. Emma wich einem riesigen Schinken aus, der von der Decke baumelte. Mit Blicken und Händen tastete sie sich voran.
»Carl! Carl, ich bin hier … Carl!«
Es war vergebens. Die absolute Stille bewies es ihr. Ein schmerzender Kloß bildete sich in Emmas Kehle, als ihr klar wurde, dass sie Carl nicht finden würde, hier nicht, heute nicht – niemals. Wahrscheinlich hatte Oskar ihn schon vor Monaten umgebracht.
Es war endgültig vorbei.
Tränenblind blieb Emma stehen. Sie konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken und schlug die Hände vors Gesicht.
Und in diesem Moment hörte sie es.
14
E s war ein Laut wie von einem tödlich verletzten Tier, erstickt, kraftlos.
Emmas Herz hörte auf zu schlagen, um dann umso heftiger gegen ihre
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