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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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in Australien bleiben durfte oder besser nach Europa zurückkehrte oder ob er seinem Hass einfach freien Lauf lassen sollte – und als Ersatz für Scheerer einen dreckigen Wilden erschießen.
    Oskar versteckte seine Verzweiflung hinter einer Fassade aus Galanterie und Witz, und auf jener Gesellschaft gelang ihm das sogar recht gut. Den Gastgeber hatte er am Abend zuvor im Wirtshaus kennengelernt. Er war ebenfalls Deutscher, hatte sich gefreut, auf einen Landsmann zu treffen, und Oskar spontan zu seiner Soiree eingeladen.
    Und dort war es dann passiert. Oskar hatte sich auf der Stelle in seine Tischdame verliebt, etwas, das er nie für möglich gehalten hätte. Aber Marys sanfter, bewundernder Blick, der so anders war als der widerspenstige von Emma, dazu ihre zerbrechliche Schönheit und ihre stete Bereitschaft, sich all seinen Ansichten anzuschließen, hatten Oskar vollkommen den Kopf verdreht.
    Schon am nächsten Tag sah er Mary wieder. Sie schien genauso entflammt zu sein wie er, wenn auch auf eine mädchenhafte, still errötende Art. Und keine zwei Wochen später war Oskar davon überzeugt, dass er und Mary wie geschaffen füreinander waren. Als er kurz darauf erfuhr, dass Marys Vater ihr bei ihrer Heirat seine Schafstation überlassen wollte, zögerte er nicht länger und bat spontan um Marys Hand.
    Ihrem Vater war die Verliebtheit seiner Tochter nicht verborgen geblieben. Auch er war beeindruckt von Oskars aufregendem Leben, von seiner Zeit als Pflanzensammler auf verschiedenen Kontinenten und von seiner Vergangenheit als Militärarzt in Deutschland. Ein studierter Abenteurer, der sich seiner Tochter zu Füßen warf – konnte man sich einen besseren Schwiegersohn wünschen?
    Marys Vater war ein Mann der Tat. Er nahm Oskar, den er erst so kurz kannte, mit geöffneten Armen in seiner Familie auf.
    Oskar konnte sein Glück kaum fassen. Die Zeit mit Emma Röslin und Carl Scheerer hatte ihm seine Forscher- und Sammeltätigkeit gründlich verleidet. Doch nun bot ihm das Schicksal einen Ausweg aus der Misere: Statt weiter für den Hamburger Überseekaufmann Cesar Godeffroy zu arbeiten, würde Oskar die schöne Mary heiraten, Kinder mit ihr zeugen, Merinoschafe züchten und der angesehenste Landbesitzer weit und breit werden.
    Zum vollkommenen Glück würde ihm dann nur noch eines fehlen: Rache.
    Er wusste, dass er versuchen konnte, alles zu vergessen. Er konnte seinen Frieden mit der Vergangenheit machen. Manchmal erschien ihm diese Lösung sogar verlockend.
    Doch dann stand ihm erneut Emmas Gesicht vor Augen. Ihre Geringschätzung, mit der sie ihm in den letzten Wochen begegnet war. Er dachte wieder an Carl Scheerer und dessen unerträgliche Arroganz. Daran, wie Scheerer ihn, Oskar, fortgejagt hatte wie einen räudigen Hund. Sie nahmen ihn beide nicht ernst, achteten ihn nicht, hatten es niemals getan, und alles nur, weil Oskar aus kleineren Verhältnissen stammte als sie. Für Menschen wie Emma und Scheerer zählte es nicht, dass er sich hochgearbeitet hatte; dass er geschuftet hatte wie ein Gaul, um studieren und das erstickende Milieu verlassen zu können, in das er hineingeboren worden war. Er würde immer Ungeziefer für sie sein.
    Aber er war kein Ungeziefer, jetzt nicht mehr.
    Und er würde es ihnen beweisen.
    Im Juni, noch vor seiner Hochzeit, machte er sich auf nach Sydney. Mary glaubte ihm ohne lästiges Nachfragen, dass er »einiges regeln« müsse, und zum Teil stimmte diese Aussage ja auch: Sein Austritt aus Godeffroys Diensten musste diesem offiziell verkündet werden.
    Oskar hielt sich nicht lange damit auf, er regelte den Abschied von seinem alten Leben mit einem simplen Brief, den er ohne jedes Bedauern auf die Schiffsreise nach Deutschland schickte. Viel wichtiger für Oskar war sein Besuch bei der Kolonialregierung. Zuerst musste er die Wissenschaftler, die dort angestellt waren und die ihm die Teilnahme an Carl Scheerers Expedition vermittelt hatten, möglichst unbewegt davon unterrichten, dass er nicht mehr mit Scheerer zusammenarbeitete. Er hatte keine Ahnung, ob sie bereits über alles informiert waren, was Scheerer ihnen erzählt und ob er Oskars kleinen Zwischenfall mit Emma erwähnt hatte. Oder ob Scheerer als Gentleman, für den er sich ja hielt, Stillschweigen bewahrt hatte, nun, da er Oskar los war.
    Zu seiner Erleichterung waren die Herren von der Kolonialregierung tatsächlich ahnungslos gewesen. Oskar hatte Scheerer und sein verfluchtes Ehrgefühl also richtig eingeschätzt; der

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