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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Rippen zu donnern. Kaum wagte sie es, ihre Hände sinken zu lassen, denn sie wollte kein Geräusch verursachen, nicht das geringste; vielleicht würde der Laut sich wiederholen, würde ihr die Richtung weisen.
    »In der Ecke dahinten«, krächzte Birwain aufgeregt. »Da rührt sich was!«
    Wieder der schwache Laut und, kaum wahrnehmbar, eine Bewegung.
    Emma rannte los.
    Ein Tier, es ist bestimmt nur ein Tier, ein gefangener Vogel, ein verletzter Dingo.
    Heftig atmend sank sie neben dem reglosen Bündel auf die Knie. Kein Vogel, kein Dingo … es war ein Mensch! Ein Mensch, mager und verdreckt.
    Er lag auf dem Bauch, das Gesicht auf dem Boden. Seine Hände waren mit einem dicken Seil auf dem Rücken zusammengebunden, auch die nackten Füße waren gefesselt. An den Stellen, wo die Seile in die Haut schnitten, waren Hand- und Fußgelenke eitrig entzündet, das Hemd des Gefangenen war steif von geronnenem Blut. Ein Übelkeit erregender Gestank stieg von ihm auf. Sein Kopf war von wirrem, grauem Haar bedeckt.
    Grau, schoss es durch Emmas Verstand. Graues Haar.
    Carls Haar war schwarz.
    Die Enttäuschung tat so weh, dass Emma sich zusammenkrümmte und wimmerte. Aber nur für einen Augenblick, dann richtete sie sich schniefend wieder auf. Dieser arme Teufel hier, wer immer er auch sein mochte, brauchte ihre Hilfe, und zwar sofort. Verzweifeln konnte Emma später, wenn sie mit ihrem Kummer allein war. Erst aber musste sie diesen bewusstlosen, geschundenen Gefangenen ins Leben zurückholen.
    »Birrinbirrin, Birwain! Ein Messer, rasch.«
    Sie mussten auf der Stelle die Fesseln lösen. Die unnatürliche Haltung, in der der Gefangene auf dem Boden lag, würde ihm entsetzliche Schmerzen verursachen, wenn er wieder bei Bewusstsein wäre.
    Im Nu war Birrinbirrin neben Emma und begann wortlos, mit seinem Messer die starken Seile durchzuschneiden. Die erste Fessel fiel auf den Boden, die zweite folgte. Wie eine giftige Wolke stieg der Gestank nach Eiter und Blut von den Gelenken des Gefangenen auf. Tiefes Mitleid erfüllte Emma, gefolgt von glühendem Hass auf Oskar – Oskar, der imstande war, ein lebendiges Wesen auf solch grausame Weise zugrunde gehen zu lassen.
    »Ich wusste es«, sagte Birwain leise. Er stand neben Emma und sah erschüttert auf den Mann hinab. »Oskar ist ein D’anba. Der erbarmungsloseste von allen.«
    »Ein D’anba. Oder eine Bestie von Mensch«, erwiderte Emma bitter.
    Vorsichtig drehte sie den Kopf des Gefangenen ein Stück zur Seite und strich ihm das verfilzte Haar aus dem Gesicht. Sie zwang sich, den Halbtoten anzusehen.
    Seine Züge waren unter dem wuchernden, grauen Bart und dem Wust seiner Haare kaum zu erkennen. Geschlossene, tief in den Höhlen liegende Augen und … Himmel hilf, zwischen den aufgesprungenen Lippen steckte ein dreckiges Tuch als Knebel! Kein Wunder, dass der Mann bewusstlos war, er war dabei zu ersticken! Mit einer schnellen Handbewegung riss sie ihm das Tuch aus dem Mund.
    Krampfhaft rang der Gefangene nach Luft, und mit dem Sauerstoff kehrte auch sein Bewusstsein zurück. Er versuchte sich zu bewegen. Als er spürte, dass seine Hände und Füße frei waren, rollte er sich mit einem heiseren Stöhnen auf den Rücken.
    Dann hob er mühsam die Lider.
    Meerblaue Augen.
    Emma schrie auf, als sie in der gemarterten Kreatur ihren Mann erkannte.

15
    O skar ließ sich Zeit. Er hatte so lange gewartet, dass er sie jetzt genießen wollte, auskosten, auf der Zunge schmecken wie einen guten Tropfen Wein: die Vorfreude auf seinen Sieg.
    Gemächlich ritt er den Pfad entlang, der zum Warenlager führte. Die verwirbelten Hufspuren von Emmas Pferd waren in der sandigen Erde deutlich zu erkennen, sie hatte es offensichtlich eiliger gehabt als er. Oskar lachte leise. Wie sie wohl dreingeschaut hatte, als sie ihr Gerippe von Ehemann entdeckt hatte?
    Oskar begann zu pfeifen. Den Blick auf die offen stehende Schuppentür gerichtet, die in der Ferne auf ihn wartete, schweiften seine Gedanken zurück.
    Das Schicksal hatte sich in jenem gesegneten Augenblick Anfang Mai 1859 gewendet, als er Mary kennengelernt hatte.
    Er war auf einer langweiligen Gesellschaft in Warwick gewesen, wo er sich gefühlt hatte wie in jeder einzelnen verfluchten Sekunde, seit Carl Scheerer ihn ein paar Tage zuvor mit üblen Drohungen aus dem Forschungslager gejagt hatte: gedemütigt, zerfressen von Rachsucht, hilflos und ohnmächtig. Er wusste nicht, was er nun mit sich anfangen sollte, ob seine Ehre vernichtet wäre, ob er

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