Der Ruf des Kookaburra
dem Wacheschieben im Regenwald abwechseln – mit geladenem Gewehr in Empfang nehmen. Scheerer würde der Waffe nichts entgegenzusetzen haben, wenn ihm sein Leben auch nur einen Pfifferling wert war; es würde ein Leichtes sein, ihn zu fesseln und zu knebeln.
Danach, so Oskars Plan, würde man Orlando von der unbewachten Koppel beim verlassenen Forschungslager holen. Nicht nur, um Scheerer leichter zur Schafstation transportieren zu können, sondern auch, um den Verdacht zunächst in die falsche Richtung zu lenken: Emma sollte ruhig für eine Weile glauben, ihr vergötterter Ehemann habe sich aus dem Staub gemacht.
Dies war der erste Teil von Oskars Plan gewesen, und er hatte wunderbar funktioniert. An einem Morgen im März tauchten Dayindi und Scheerer in aller Herrgottsfrühe an dem vereinbarten Platz auf. Der verschlafene storekeeper war froh, sein Gewehr stets griffbereit geladen zu haben, und zog einen weiteren Vorteil daraus, dass Scheerer vollkommen überrumpelt war. Er begriff überhaupt nicht, wie ihm geschah, und war im Handumdrehen verschnürt wie ein feiner Braten.
Der storekeeper erklärte Dayindi noch rasch, dass er in nächster Zeit einen Brief bringen und Emma danach ebenfalls verschwinden würde. Falls es zu irgendeinem Zeitpunkt Probleme geben sollte, müsse Dayindi sich unverzüglich an Oskar wenden. Der storekeeper machte sich noch einen kleinen Spaß daraus, Oskar »den Herrn der Geister« zu nennen. Danach bot er ihm ein weiteres Mal Schnaps oder Geld an, doch dem verrückten Wilden schien es Lohn genug zu sein, seinen Geistern gedient und das Forscherpaar ins Unglück gestürzt zu haben. Dummer Kerl.
Der zweite Teil des Plans hätte einige Wochen später anlaufen sollen, wenn Emma gehörig gelitten hätte und Scheerers Wille durch die Folter gebrochen wäre. Besagter Brief würde ankommen, Emma würde ihn lesen und sich unverzüglich auf den Weg machen.
Niemand außer Dayindi würde wissen, warum sie niemals zurückkehrte.
Oskars Laune erhielt einen kleinen Dämpfer, als er daran dachte, dass der verdammte Brief niemals geschrieben worden war. Scheerer hatte sich all die Monate über hartnäckig geweigert, seine Rolle als Lockvogel zu spielen, und das brachte Oskar gewaltig in Rage.
Dabei war er so gewissenhaft vorgegangen: Hatte all sein Wissen als ehemaliger Militärarzt eingesetzt, um sein Opfer auf den Punkt genau zu quälen – stets so sehr, dass es Scheerer an den Rand des Wahnsinns treiben musste, aber niemals so, dass er tatsächlich in Lebensgefahr geriet. Oh ja, Oskar wusste, wie lange er einem Mann die Luft abdrücken durfte, ohne dass dieser erstickte; wie viele Tage ohne Essen und Wasser man überleben konnte; wie brutal die Schläge mit der Eisenstange sein durften, wie tief die Wunden, wie entzündet die Striemen … und wann man einem halbtoten Körper Zeit geben musste, sich zu erholen. Oskar hatte fast alles richtig gemacht – bis auf eines: Er hatte unterschätzt, wie stur dieser Dummkopf Scheerer daran festhielt, Emma zu beschützen.
Doch Oskar hatte sich geweigert aufzugeben. Er wollte seine Rache, und er würde sie bekommen. Er musste bloß geduldig sein, das war alles. Dann würde er zu guter Letzt doch noch Erfolg haben und es schaffen, Scheerers Willen zu brechen. Nur deshalb hatte er den Kerl schließlich bis heute am Leben gelassen!
Tja, dachte Oskar nun, der Mensch denkt, Gott lenkt. Emma war ganz von allein hier aufgetaucht. Ohne Brief, ohne das Zutun ihres Mannes; wie ein dummes Rind, das freiwillig zum Schlachten antrat. Das war zwar nicht ganz so perfekt, wie wenn Scheerer sie hergelockt hätte. Aber es war eindeutig besser als nichts.
Oskar hatte sofort gewusst, dass sie es war, als er früher als erwartet heimgekehrt war und Rosie gefragt hatte, ob seine Frau in der guten Stube sei. Die Magd hatte genickt und ihm erzählt, dass Madam Besuch habe – einen jungen Engländer und eine blonde, nervös wirkende Frau, die vor wenigen Minuten schnell wie der Teufel in Richtung Warenlager davongeritten war. Zu dritt auf einem Pferd! In engstem Körperkontakt mit zwei schwarzen Männern! Rosie hatte sich bei der Erinnerung vor Ekel geschüttelt.
Blond, stürmisch, keine Scheu vor schwarzen Männern und auf dem Weg zum Warenlager: Das konnte nur Emma sein.
Oskar hatte den plötzlichen Aufruhr in seinem Inneren unterdrückt, Rosie die Wange getätschelt und gesagt, er sehe am besten selbst nach, wo seine unkonventionelle Besucherin abgeblieben sei.
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