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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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nämlich, dass Babys und Kleinkinder noch in besonderem Maße mit der Welt in Verbindung stünden, aus der sie gekommen waren. Das Plappern der Kleinen hielt man demzufolge für Gespräche mit Geistern, und die babytypischen, ziellosen Handbewegungen für Zeichen dafür, dass die Kleinen in der Geisterwelt auf die Jagd gingen.
    Emma fand diese Vorstellungen teils lustig, teils befremdlich. Doch da sie sich dafür entschieden hatte, sich in Sachen Kindererziehung den Sitten des Clans anzupassen, machte sie keine halben Sachen, sondern passte sich gewissenhaft an: Emma achtete darauf, dass Belle im Schlafen ihr Mündchen geschlossen hielt, damit kein böser Geist in sie eindringen konnte. Sie legte Belle unverzüglich auf die rechte Seite, wenn nachts eine Krähe schreiend über das Lager flog. Und sie rieb Belles Stirn mit Pollen ein, was böse Geister vertreiben sollte.
    Nötig, glaubte Emma, war das alles natürlich nicht. Aber warum nicht ausprobieren, ob die seltsamen Bräuche irgendeine Wirkung zeigten? Purlimils Medizin gegen das Schreien hatte schließlich auch geholfen. Als Forscherin musste sie für alles Neue offen sein.
    In diesen Tagen wünschte Emma sich oft, mit Carl über ihre Beobachtungen zu sprechen oder zusammen mit ihm über die merkwürdigen Verrichtungen der Kinderpflege zu lachen. Wenn er doch nur da wäre! Wenn er sehen könnte, wie süß und ausgeglichen Belle nun war und wie gelassen und sicher Emma inzwischen mit ihr umging! Jetzt, das wusste sie, würde aus ihnen dreien eine glückliche Familie werden.
    Nach zwei Wochen, die Emma auf diese Weise im Lager verbracht hatte, wurde sie nervös.
    Ob Mrs Dunnings’ Nachricht wohl schon auf dem Postamt in Ipswich auf sie wartete? Ob Mrs Dunnings etwas von Carl gehört hatte? Ob sie den geheimnisvollen Grund kannte, der ihn noch immer von Emma forthielt? Auch die Kolonialregierung hatte vielleicht schon geantwortet. Eigentlich müsste sie schnellstens nach Ipswich reiten!
    Andererseits: Wenn kein Brief da wäre, hätte sie den langen Weg umsonst gemacht – und würde wegen Belle nicht so bald wieder in die Stadt reiten können. Deshalb war es wohl besser, noch eine Weile zu warten. Zumindest so lange, bis sie einigermaßen sicher sein konnte, auf der Post die gewünschten Antworten vorzufinden.
    Nach drei Wochen war die innere Unruhe kaum mehr zu ertragen.
    Und eines Morgens – Purlimil rieb sich gerade verschlafen die Augen – hielt Emma es nicht mehr aus.
    Sie setzte sich auf und sagte entschlossen: »Purlimil, ich muss dir noch einmal für drei Tage Belle überlassen. Es tut mir leid, ich weiß, wie sehr Dayindi dir zusetzt, wenn ich nicht da bin. Aber es muss sein. Ein letztes Mal.«
    Purlimil war nun hellwach. Sie sah erschrocken aus, fasste sich jedoch sogleich. »Natürlich. Du wartest auf Nachrichten, nicht wahr?«
    Emma nickte stumm.
    »Nur drei Tage?«, versicherte sich Purlimil.
    »Ja. Ich reite zurück, sobald ich auf dem Postamt war.«
    Nervös sah Purlimil sich um, als erwarte sie, Dayindi im nächsten Augenblick aus einer Zeltfalte kriechen zu sehen. »Gut, du kannst mir Belle dalassen«, stimmte sie schließlich zu. Ihre Stimme aber klang unsicher, ihr Blick war gehetzt.
    Was ist nur aus ihr geworden? Früher war sie so mutig und unbeschwert! Seit Carl weg ist, ist sie gar nicht mehr sie selbst.
    Emma wandte den Blick von Purlimil ab und widmete sich Belle, die strampelnd und glucksend auf den Decken lag. Die Kleine schenkte ihr ein strahlendes, zahnloses Lächeln, und Emma kitzelte sie am Bauch, bevor sie sich daranmachte, sie anzuziehen. Das war das Einzige, was sie beharrlich anders hielt als die Schwarzen: Wenn es herbstlich kühl war – und das war es jetzt immer öfter –, ließ sie Belle nicht ohne Kleidung ins Freie.
    Mit dem Baby auf dem Arm ging sie aus dem Zelt hinaus in den dunstigen Morgen. Belle quietschte vergnügt, und Gelar, der noch im Zelt lag, antwortete mit einem beherzten Lallen. Emma lächelte, und im selben Moment sah sie aus den Augenwinkeln, dass ein Mann auf sie zukam.
    Keiner der Eingeborenen.
    Sondern ein Weißer.
    Emmas Herz hämmerte in ihrer Brust.
    Sie stolperte einen Schritt in seine Richtung, um sich zu vergewissern, dass er es wirklich war, Carl …
    Alles in ihr zog sich schmerzhaft zusammen.
    Denn natürlich war er es nicht.

6
    D er junge Mann, der mit festem Schritt auf sie zukam, war schmaler und nicht so muskulös wie ihr Ehemann. Er hatte auch keine schwarzen Locken, sondern

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