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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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wiegte das Baby und sich selbst im Rhythmus des Trostes, und die ganze Zeit über strich Mr Roberts’ Hand über ihren Rücken. Endlich, es mochte eine Minute vergangen sein oder eine Viertelstunde, ebbte die Verzweiflung ab. Sie verschwand nicht, aber sie verblasste; zog sich zurück in einen stillen Seelenwinkel und erlaubte es ihr, wieder zu funktionieren.
    Emma atmete tief durch, straffte sich und hob den Kopf.
    John Roberts registrierte, dass sie ihre Fassung wiedergefunden hatte, und ließ augenblicklich seine Hand sinken. Bewusst stellte er die körperliche Distanz zwischen ihnen wieder her. Emma war ihm dankbar dafür; beinahe so sehr wie für seinen Trost.
    »Mr Roberts … John«, sagte sie unsicher. »Bitte verzeihen Sie mir, dass ich mich in Ihrer Anwesenheit so jämmerlich vergessen habe.«
    Sein Blick ruhte auf ihrem verweinten Gesicht. »Entschuldigen Sie sich nicht dafür, dass Sie um Ihren Mann trauern. Ich mag als Kontrolleur gekommen sein, aber ich bin kein Unmensch.«
    Ich trauere nicht um meinen Mann, ich vermisse ihn bloß! Ich vermisse ihn schrecklich, aber er lebt. Er lebt! Ich sehe es Nacht für Nacht in meinen Träumen!
    Doch sie blieb stumm.
    Was waren schon Träume? Fantasiegebilde, trügerische Hoffnungen, Schall und Rauch. Nichts weiter.
    Vielleicht hatte John Roberts recht. Vielleicht war es für sie tatsächlich an der Zeit, sich der Wirklichkeit zu stellen und Carl loszulassen.
    Aber sie konnte es nicht.

11
    B irwain betrachtete Emma, deren Augen im Feuerschein rot und verquollen aussahen. Obwohl sie sich beharrlich sträubte, den Tod ihres Mannes anzuerkennen, erkannte Birwain, dass sie trauerte.
    Er legte den Kopf in den Nacken und starrte in die abendliche Dunkelheit. Warum gaben sie ihm keine Antwort, die Marmbeja, die doch sein ganzes Leben lang zu ihm gesprochen hatten? Warum erklärten sie ihm nicht, welchen Sinn das alles hatte? Emmas Leid, Carls Tod. Birwain begriff es einfach nicht: Die Marmbeja waren nicht grausam, und sie hatten keine Freude daran, sich einen Unschuldigen zu holen. Warum also hatten sie Emma eine solche Aufgabe gestellt?
    Denn dass es Emmas Aufgabe gewesen war, ihren Mann in den Tod zu treiben, davon war der gesamte Clan überzeugt. Und dass die Aufgabe der Marmbeja auf geheimnisvolle Weise mit der Strafe der Ahnen verknüpft war, glaubten auch alle: Weil Emma Belle gerettet hatte, musste sie jetzt die Trauer um ihren Mann erleiden.
    Allein Birwains Herz war voller Zweifel. Er war der Schamane, und er kannte seine Geister; diese Geschichte passte nicht zu ihnen. Er kannte auch die Ahnen, und wiewohl er stets betonte, dass man ihre Gesetze befolgen müsse, hatte Birwain sie doch niemals anders als gerecht und hilfreich erlebt.
    Wenn nun jemand anders hinter all dem Unglück steckt?
    In den Blättern über Birwains Kopf rauschte es.
    Eine Antwort jedoch bekam er nicht.

12
    JUNI 1860
    G elar, du kleiner Teufelsbraten! Willst du wohl stillhalten? Wie soll ich dich denn waschen, wenn du so zappelst?«
    Emma lachte, dann fiel ihr Blick auf den Platz, wo noch vor einer Minute Belle gelegen hatte. Sie erstarrte. »Belle! Himmel, was machst du denn da? Vorsicht, nicht weiter drehen, sonst fällst du ins Wasser!«
    So schnell sie konnte, rannte Emma das Ufer entlang, den quietschenden Gelar unter den linken Arm gequetscht. Sie bekam Belle just in dem Moment zu fassen, als das Baby sich abstieß und von dem flachen Felsen ins Wasser rutschte.
    »Ich hab dich!« Emma atmete auf. »Puh, das war knapp. Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Gar nichts, gab sie sich selbst zur Antwort, schließlich war Belle gerade einmal fünfeinhalb Monate alt. Zu jung also, um abzuschätzen, wie gefährlich ihre neu erworbenen Fähigkeiten, sich zu drehen und so von der Stelle zu kommen, ihr werden konnten. Aber leider nicht zu jung, um Lust auf Entdeckungen zu haben, vor allem auf gefährliche.
    »Ganz die Adoptivmutter«, hatte John grinsend gesagt.
    Emma musste lächeln, als sie daran dachte.
    Auf jeder Hüfte ein strampelndes, glucksendes Baby ging sie zurück zu der flachen Uferstelle, die sie als Waschplatz für Belle und Gelar auserkoren hatte. Sie legte die Babys wieder auf die warme Decke, ermahnte Belle mit strenger Stimme, sich nicht von der Stelle zu rühren, und hüllte den frischgewaschenen Gelar eilig in das Fell, das ihn vor der kalten Luft schützen sollte.
    Es war Winter geworden im Regenwald. Kein Winter wie daheim in Deutschland, mit Schnee und Frost, aber doch

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