Der Ruf des Kookaburra
Gesicht. »Setz mich nur unter Druck. Besten Dank!«
»Gern geschehen. Wie wäre es übrigens mit einer Tasse Tee?«
Emma ließ die Feder sinken. »Sollte es wahr sein? Denkt ihr Engländer wirklich an nichts anderes als an euren ewigen, bitteren Tee?«
»Oh doch.« Sein Blick wanderte zu ihrem Mund. »Es sind nur nicht alle Gedanken dazu geeignet, sie laut auszusprechen. Also sprechen wir über Tee und manchmal auch über das Wetter.«
Emma verzichtete auf eine Antwort und beugte sich hastig wieder über ihre Notizen. John brachte sie ganz durcheinander, wenn er so unverblümt versuchte, mit ihr zu flirten.
Oder tat er das gar nicht? Vielleicht war sie bloß überempfindlich und meinte, etwas wahrzunehmen oder herauszuhören, das gar nicht existierte. Schließlich hatte er sich ihr nie anders zu nähern versucht denn als Freund. Dennoch glaubte sie in Augenblicken wie diesen, dass John sie durchaus nicht nur als Freundin, sondern auch als Frau wahrnahm – trotz ihrer fehlenden Eleganz und trotz ihrer tiefbraunen Haut, die jegliche vornehme Blässe vermissen ließ.
Ganz unrecht hat Gunur nicht , wenn sie John und mich so misstrauisch beobachtet.
Zwar gehörte, so versicherte sie sich rasch, ihr Herz nach wie vor Carl. Aber in den Augenblicken ihrer größten Einsamkeit, wenn die Zweifel an Carls Rückkehr übermächtig wurden … fiel ihr manchmal auf, wie intensiv Johns Blick auf ihr ruhte. Wie anziehend sein sorgloses, selbstbewusstes Lächeln war. Und wie leicht es wäre, Vergessen und Trost in seiner Umarmung zu finden – wenn auch nur für ein paar Stunden.
Emma merkte, dass sie, anstatt zu schreiben, ihre Notizen anstarrte. Sie biss sich auf die Lippen; fühlte sich von sich selbst ertappt. Eilig warf sie ein paar bedeutungslose Worte aufs Papier, um den Anschein zu erwecken, sie sei vollauf mit ihren Forschungen beschäftigt statt mit Gedanken, die sie nicht denken, und Sehnsüchten, die sie nicht spüren wollte.
Nicht solange sie nicht vollkommen sicher war, dass Carl tot war.
Natürlich hatte John auch für sie Tee gebrüht, obwohl sie ihm nicht geantwortet hatte. Und natürlich trank Emma den Tee dankbar aus, während der Engländer sie mit jener charmanten Lässigkeit unterhielt, die sie fast noch mehr verwirrte als sein Blick.
Während sie ihm mit halbem Ohr zuhörte, ermahnte sie sich streng, sich darauf zu besinnen, wer und was sie war: Emma Scheerer, verheiratet, und zwar äußerst glücklich.
Na ja, glücklich zumindest in der Zeit, die Carl und sie zusammen gewesen waren.
Aber verheiratet war sie definitiv immer noch, und deshalb würde sie John gegenüber zwar freundlich bleiben, aber auf eine distanzierte, unnahbare Weise. Keinesfalls würde sie ihm in irgendeiner Form zu verstehen geben, dass sie sich von ihm angezogen fühlte.
Klirrend stellte sie die Teetasse auf dem Tisch ab. Um ein Haar wäre ihr Stuhl umgefallen, als sie abrupt aufstand. Mit brennenden Wangen sagte sie: »John, lass uns nach den Pferden sehen. Ich … ich habe Princess vernachlässigt in der letzten Zeit. Wir sollten uns vergewissern, dass Princess und dein Sirius gut miteinander zurechtkommen.«
»Keine Sorge«, sagte John, lehnte sich zurück und kippelte auf seinem Stuhl. »Sirius kommt mit allen Pferden zurecht und besonders gut mit Stuten.«
Emma schoss ein Bild durch den Kopf, an das sie eigentlich nicht gerne dachte: das Bild Nowalingus, die John mit Blicken und Lächeln zu verstehen gab, dass sie gegen ein bisschen Spaß nichts einzuwenden hätte. In letzter Zeit hatte Nowalingu John immer öfter auf diese anzügliche Weise angelächelt.
Und John hatte stets zurückgelächelt.
»Das mit den Stuten glaube ich dir sofort«, murmelte Emma, drehte sich um und floh vor dem Wirrwarr in ihrem Inneren hinaus ins Freie.
Das Gras auf der Koppel war nun nicht mehr stachelig und braun, sondern saftig grün. Vernichtete der Winter in Europa jegliche Vegetation, so bewirkte er hier genau das Gegenteil: Ohne die glühende Hitze der Sonne erholte sich die Natur, alles wuchs und gedieh, und was im Sommer dürr und vertrocknet war, erwachte in den Wintermonaten zu neuem Leben.
Emma lehnte an einem Pfosten des mehr schlecht als recht zusammengezimmerten Zaunes und schaute über die Weide zu ihrem Kontrolleur. Er war damit beschäftigt, seinen Casanova Sirius zu striegeln, der aussah, als sei er in ein Schlammloch gefallen. Princess war deutlich weniger schmutzig gewesen, und so war Emma mit der Pflege ihrer
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