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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Stute schnell fertig geworden. Jetzt trabte Princess frei und zufrieden über die Weide, immer in Sirius’ Nähe.
    Sie scheint Orlando gar nicht mehr zu vermissen, dachte Emma. Der Gedanke gab ihr einen Stich.
    Trotz des Wollschals, den Emma sich um den Oberkörper geschlungen hatte, fröstelte sie. Der Himmel war bedeckt. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute in die schieferfarbenen Wolken. Wolken waren etwas, das sie in ihrem Leben hier nur selten zu Gesicht bekam, obwohl es häufig regnete. Doch im Regenwald verdeckten die dichten Schirme aus Blättern, Ästen, Palmwedeln und in langen Schleifen herabhängenden Pflanzenparasiten fast überall die Sicht auf den Himmel. Emma hatte sich schon so sehr an das grüne Dämmerlicht gewöhnt, dass ihr der helle, klare Tag und die Weite um sie herum nun beinahe exotisch vorkamen.
    Sie besuchte John nicht oft im Forschungslager. Nur an Tagen wie heute, wenn Gunur sich anbot, auf Belle aufzupassen, und Emma es sich gestattete, der Sehnsucht nach einem anständigen Schreibplatz und einem Minimum an Zivilisation nachzugeben. Dann arbeitete sie bei John im Haupthaus an ihren Berichten und überließ ihm das Ergebnis gleich zur Begutachtung.
    Meist aber war es John, der vormittags zu ihr in den Regenwald kam, der sie tagsüber begleitete, ihr über die Schulter schaute, aber auch eigene Pflanzenforschungen betrieb. Nur Kontrolleur zu spielen, das sei nichts für ihn, hatte er Emma schon früh anvertraut. Wenn er nicht selbst sammeln, kategorisieren und konservieren könne, fühle er sich überflüssig und nutzlos.
    Emma hatte dieses Geständnis gefallen.
    Auch das Zusammensein mit John, ihre lockeren Gespräche, die kleinen Scherze, seine Unbeschwertheit gefielen ihr.
    Und langsam, fast unmerklich, hatte sich ihr Verhältnis zueinander gewandelt. Statt dass John Emma überwachte, arbeiteten sie nun miteinander. An besonders guten Tagen war es fast ein bisschen so, wie es mit Carl gewesen war.
    Nein, verbesserte sie sich erschrocken. Wie mit Carl konnte es mit keinem anderen Mann sein! Nicht einmal auf der rein professionellen Ebene. Aber es war, musste sie zugeben, zumindest ähnlich: ein konzentriertes, stillvergnügtes Forschen, über das man sich gleichberechtigt unterhielt, beriet und austauschte.
    Dennoch durfte sie nie vergessen, dass dieser positive Eindruck trog. Denn an den Fakten hatte sich nichts geändert: Er stand über ihr. Wenn John sich ein abschließendes Bild über sie gemacht haben würde, dann würde sein Bericht über ihre Zukunft entscheiden. Und es war Johns unbedingte Pflicht, nicht wohlwollend über sie zu urteilen, sondern objektiv – und möglicherweise vernichtend, ganz gleich, als wie angenehm er das Zusammensein mit ihr als Mensch empfinden mochte.
    Mit ihr als Frau.
    Sie wandte den Blick vom Himmel ab und betrachtete John wieder, wie er mit kräftigen Strichen sein Pferd striegelte. Er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt; seine Unterarme waren goldbraun und sehnig. Sirius schnaubte ihm zärtlich ins Ohr, und John lachte.
    Emma musste lächeln. Sie fand es seltsam und bewundernswert zugleich, dass John immer gut gelaunt war, obwohl das Leben in dieser verlassenen Forschungsstation kaum nach seinem Geschmack sein konnte: schlechtes Essen aus lange haltbaren Lebensmitteln – denn anders als Emma aß John nicht mit dem Clan zusammen; kalte und einsame Abende; keine Neuigkeiten aus der weiten Welt; keinerlei Vergnügungen. Für einen lebensfrohen jungen Mann wie John musste dieses Leben einer Verbannung gleichkommen.
    Möglicherweise hat er es bald hinter sich .
    Der Gedanke tat überraschend weh.
    Emma streckte den Rücken gerade. Bloß nicht wieder im Selbstmitleid versinken! Das war ihr in den letzten Wochen viel zu oft passiert.
    Entschlossen schlüpfte sie durch den Zaun und ging quer über die Weide zu John. Sie war schließlich nicht in erster Linie gekommen, um an ihren Berichten zu schreiben, und ganz sicher nicht, um sich über einen attraktiven Engländer romantische Gedanken zu machen, sondern weil sie ihm erzählen wollte, wie die Beratung über Purlimils Schwermut geendet hatte. Sie wollte unbedingt Johns Meinung dazu hören – die nüchterne, realistische Sichtweise eines Weißen, dem die Vorstellung geraubter Seelen ebenso fremd sein musste wie ihr selbst.
    Ob er versuchen würde, ihr auszureden, mit dem Clan zu den heiligen Stätten zu ziehen? Ob er mitkommen würde?
    Oder ob er froh wäre, endlich einen guten

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