Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
ich’s versucht, und ich bin wie ein Zombie durch die Gegend gestolpert. Aber anders hätte ich die Trauerfeier nicht überstanden.«
Ein Klimpern und Rasseln auf der Treppe kündigte Trudies Ankunft an. Sie stieg nach und nach aus dem Fußboden empor, kam zu ihnen herüber und stellte ein schwarz lackiertes Tablett auf den Tisch. Die beiden mit Silberfiligran besetzten russischen Teegläser waren mit einem blassgrünen Gebräu gefüllt, in dem welke Blätter trieben. Die hauchdünnen Kekse auf dem Teller daneben erinnerten an Holzkohle. Wehmütig dachte Strike an die Fleischpastete und den ziegelroten Tee aus dem Phoenix zurück.
»Danke, Trudie. Bring mir noch einen Aschenbecher, Schätzchen!«
Sie zögerte und überlegte anscheinend, ob sie Widerspruch einlegen sollte.
»Nun mach schon«, knurrte Somé. »Wer ist hier der gottverdammte Boss? Ich kann die Bude abfackeln, wenn ich will. Nimm von mir aus die verdammten Batterien aus den Rauchmeldern. Aber hol mir erst den Aschenbecher! Letzte Woche ging der Feueralarm los und hat die Sprinkleranlage im Erdgeschoss aktiviert«, erklärte Somé, an Strike gewandt. »Deshalb haben meine Vermieter hier ein Rauchverbot verhängt. Aber das können sie sich gleich in ihre engen kleinen Arschlöcher schieben.«
Er inhalierte tief und blies Rauch durch die Nasenlöcher.
»Haben Sie gar keine Fragen? Oder sitzen Sie hier einfach nur rum und gucken böse, bis jemand mit einem Geständnis rausrückt?«
»Ich kann Ihnen gerne ein paar Fragen stellen«, sagte Strike und zückte Notizbuch und Stift. »Als Lula starb, waren Sie im Ausland, richtig?«
»Ich war ein paar Stunden zuvor zurückgekommen.« Somés Finger, die die Zigarette hielten, zuckten leicht. »Direkt aus Tokio. Ich hatte eine Woche lang so gut wie nicht geschlafen. So gegen halb elf bin ich in Heathrow gelandet – mit dem fiesesten Jetlag aller Zeiten. Im Flugzeug schlafen geht gar nicht! Wenn es abstürzt, will ich das schließlich mitbekommen.«
»Wie sind Sie vom Flughafen nach Hause gekommen?«
»Mit dem Taxi. Elsa hatte den beschissenen Fahrservice nicht angerufen. Eigentlich hätte dort ein Wagen auf mich warten sollen.«
»Wer ist Elsa?«
»Die Schlampe, die ich gefeuert hab, weil sie den beschissenen Fahrservice nicht angerufen hat. Mitten in der Nacht nach einem Taxi zu suchen war so ungefähr das Letzte, was ich an diesem Scheißabend wollte.«
»Wohnen Sie allein?«
»Nein. Um Mitternacht lag ich mit Viktor und Rolf in meinem Bettchen. Meine Kater«, fügte er mit einem Grinsen hinzu. »Ich hab eine Tablette genommen, ein paar Stunden geschlafen und bin um fünf Uhr morgens aufgewacht. Hab den Fernseher angeschaltet und Nachrichten geguckt, und da tauchte auf einmal ein Mann in einer fürchterlichen Schaffellmütze auf. Er stand im Schnee auf Cuckoos Straße und hat behauptet, sie sei tot. Und das Gleiche stand auch in der Tickerzeile am unteren Bildrand.«
Somé zog gierig an seiner Zigarette. Als er weiterredete, quoll weißer Rauch aus seinen Mundwinkeln.
»Mein Gott, ich wär beinahe gestorben! Ich dachte, vielleicht würd ich ja noch schlafen oder wäre in irgendeiner falschen Dimension oder so aufgewacht … Ich hab alle angerufen … Ciara, Bryony … Überall war besetzt. Und die ganze Zeit über liefen die Nachrichten, und ich hab gebetet, dass es sich als Falschmeldung rausstellt, dass es jemand anders erwischt hat. Ich hab gehofft, es wäre diese Pennerin gewesen. Rochelle.«
Er verstummte, als wartete er auf einen wie auch immer gearteten Kommentar von Strike. Letzterer hatte sich eifrig Notizen gemacht.
»Sie kennen Rochelle?«, fragte er, ohne den Stift abzusetzen.
»Ja. Cuckoo hat sie mal mit hierhergeschleift. Hat eingesackt, was sie nur kriegen konnte.«
»Wieso sagen Sie das?«
»Sie hat Cuckoo gehasst. Sie war supereifersüchtig, das habe ich sofort gemerkt. Cuckoo leider nicht. Hauptsache, sie konnte was abgreifen. Es hat sie einen Scheiß interessiert, ob Cuckoo lebte oder starb. Ihr Glück, würde ich sagen … Je länger ich also Nachrichten guckte, umso größer wurde die Gewissheit, dass es keine Falschmeldung war. Da bin ich verdammt noch mal zusammengebrochen.« Er zog an dem schneeweißen Stäbchen in seinen zitternden Fingern. »Es hieß, dass die Nachbarin einen Streit gehört hätte. Da dachte ich natürlich gleich an Duffield; dass er sie aus dem Fenster geschubst hätte. Ich hätte den Bullen ja zu gern erzählt, was für ein Arschloch er ist. Ich
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